Seit Februar 2009: Huibs 4 Euroblogs zusammen in:

AT HOME IN EUROPE (at EURACTIV)
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28 September, 2006

Die grosse Toleranz der Preussen

CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble gestern in seiner Regierungserklärung:
Deshalb habe ich gestern mit der Deutschen Islamkonferenz in der Orangerie im Schloss Charlottenburg den ersten institutionalisierten Dialog zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschland lebenden Muslimen eröffnet. Das Schloss Charlottenburg - auch das darf man sagen -, Ende des 17. Jahrhunderts erbaut, erinnert an die große Toleranz der preußischen Dynastie

(Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): Und der Bürger!)
ja, der Bürger, aber auch der Dynastie - und war ein guter Ort, um diesen Dialog zu eröffnen.
Na ja, ich habe nichts dagegen, wenn man die Wille zur Toleranz feiert mit Verbindungen zur Geschichte. Friedrich der Grosse, denn es ist dieser Preussenkönig um wen es sich hier handelt, empfing Tausenden Huguenoten, Protestanten die aus Frankreich vertrieben waren von Ludwig XIV. Zeitweilig, hat er eben den "Antichrist" Voltaire am Hofe in Berlin Unterkunft geboten.
Aber Leute "vertragen" (tolerieren) ist etwas anderes als die Macht, das Raum, und die Kultur mit ihnen teilen.
Leute tolerieren, nur wenn (und solange) es dich gut auskommt, wie es geschah mit den Huguenoten, die nach das kleine, agrarische Berlin, Handelskontakte und Kulturelles Leben mitbrachten und die vermutlich ein willkommenes gegengewicht stellten gegen den Bestrebungen des ländlichen Adels und der Juden - das kam nicht aus einem humanistischen Toleranzprinzip hervor, aber nur aus Machtspolitik. Es gab im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts Raum in Überfluss in und rund Berlin, nicht im geringsten weil grosse Teile der ursprünglichen Bevölkerung durch Intoleranz vertrieben worden waren.
Im Moment, als Voltaire anfing politischen und moralen Einfluss auszuüben in Berlin, war Friedrichs Toleranz vorbei. Voltaire musste schleunigst nach die Schweiz zurück.

Tolerieren ohne teilen, ist eine Tradition, worauf alle Intoleranzen sich rühmen können.

Die im Orangerie anwesenden Türken können sich rühmen auf die Tausenden sephardischen Juden (aus Spanien vertrieben) die sie nach 1492 "toleriert" haben, aber nur wenn sie sich in griechischen oder bulgarischen Teilen des ottomanischen Reiches ansiedelten.

Nein, die Wahl der Orangerie als Versammlungsort, macht die deutsche Kultur nicht zum Leitkultur in Toleranz. Wäre Weimar, auf der West-östlichen Diwan, nicht besser gewesen?

(Zitat Schäuble kommt aus dem Text, veröffentlicht von BigBerta, in ihrem blog, 28. September 2006)

25 September, 2006

UMTS-Roaming: Nur für Millionäre?

Foto Spiegel: "UMTS-Karte: 14 Euro pro Megabyte?" Übrigens ist Vodafone die einzige die bewegt...

Seit Monaten verfolge ich in meinen Euroblogs die Geschichte des "Roamings".

Roaming gibt es, wenn Du im Ausland dein Handy einschaltst und über ein ausländisches Netz anrufst, oder angerufen wirst. (Oder SMS sendst und empfängst.)

Die Gebühren die für Roaming angerechnet werden, sind ausserordentlich hoch. Technisch, gibt es dafür keinen Grund. Die Übertragung von Signalen ist völlig automatisiert, auch zwischen des nationalen Netzwerken.

Ich bin auf diese Sache gefasst, weil:

  1. ich täglich unter diese Wahnsinn leide, weil ich, von einem kleinen Lande aus, in einem grossen Teil Europas beruflich arbeite, also, wenn ich nur 100 oder 150 Km vom Hause bin, schon diese extra Gebühren zahlen muss;
  2. es ein schönes Beispiel ist von der Ohnmacht des "freien" Marktwirkens, um allgemeine Dienste zu besorgen, ohne einer strikten (und kostspieligen) Reglementierung;
  3. es eine Chance bietet für die Europäische Union (Kommission), um ein konkretes, und für jeden Eurobürger fühlbares Unterschied zu machen.
Bigberta hat in ihrem Blog meine englischen Ausführungen in "At Home in Europe" zu diesem Thema, schon ins Deutsche übersetzt. Siehe: "380 Millionen europäische Handybesitzer werden bestohlen..."(14. Juli 2006).

Auf europäischen Ebene wird jetzt vorgeschlagen, ein europaweites Maximum-Tarif festzulegen für Roaming. Die "Provider (Netzwerkbetreiber)" Unternehmen wehren sich dagegen mit allen Mitteln, denn die höhe Roaminggebühren generieren etwa 25% ihrer Gewinnen. Bestimmte Regierungen unterstützen die (nationalen) Provider. Wenn wir nichts tun, wird in den brüsseler Hinterzimmern die europäische Reglementierung von denen abgeschossen werden.

In einflussreichen Zeitungen wie der Financial Times, ist einer wahren Guerrillakrieg im Gang gesetzt worden gegen diese geplanten europäischen Reglementierung.
22. September hat noch einer, von Vodafone bezahlten, "Experte" (Stephen Littlechild: "Brussels has got in wrong on roaming charges", [subscription required])
in den redaktionellen Kommentar-Spalten des FT zu beweisen gesucht, dass behördlich festgelegte Maximum-Tarife zu eine .... Erhöhung der Gebühren führen würde!! Thatcherianische Wahnsinn, die zeigt, dass dieses Gefecht hart sein wird.

Bei UMTS-Roaming sind die Gebühren noch viel extremer als beim normalen Handy-Verkehr. Das hat jetzt auch "Der Spiegel" bemerkt, wenn das Blatt 3.500,- Euro bezahlen musste für einen einzelnen Tag UMTS-Roaming von einem seiner Korrespondenten bei der Tour de France, diesen Sommer. Und so ist es geschehen, dass wir, Roaming-Konsümenten, plötzlich einen Verbündeten bekommen haben aus dem Lager der sonst so marktliebenden Presse.
Ein aktiver Verbündete, eben, denn der Spiegel ruft seinen Leser zur Protestaktion auf:
UMTS-RECHNUNGEN
Haben Sie auch schon den UMTS- Schock nach Urlaub oder Geschäftsreise erlebt? Was war Ihre extremste Telefonrechnung? Schreiben Sie uns eine E- Mail, an spon_zusendung@spiegel.de, Stichwort UMTS!
Wir unter stützen gerne und von ganzem Herzen diese antikapitalistische Protestbewegung! Schreibt alle emails an dem Spiegel!

In Europa gibt es praktisch nur drei grossen Unternehmen die UMTS anbieten können in mehreren Ländern: Vodafone (EN), Deutsche Telekom und Orange (FR). Vodafone hat, als Antwort auf der Aktion de Europakommission, seine Tarife etwas gemässigt, und angekündigt dass nächstes Jahr eine weitere Senkung vorgesehen sei. Aber Andere, wie z.B. O2, aus England, haben die Europakommission beim Gericht angeklagt um Zeit zu gewinnen.

Die Lage wird vom "Spiegel" gut gekennzeichnet:

14 Euro für ein Megabyte ungeschützten Verkehr

Während eine UMTS-Flatrate für Rechner oder Handy innerhalb Deutschlands etwa 40 bis 55 Euro pro Monat kostet, wird im Ausland ein Vielfaches solcher Summen fällig. Vor allem, wenn man nicht das Partner-Netz des eigenen Betreibers, sondern ein anderes erwischt, wird das Surfen noch einmal drastisch teurer: Solch ungeschützter UMTS-Verkehr kommt im Ausland schnell auf einen Preis von 14 bis 15 Euro pro Megabyte - egal, bei welchem Betreiber man in Deutschland seinen Vertrag hat.

Zur Orientierung: Wer einmal die Startseite von SPIEGEL ONLINE aufruft, hat damit schon knapp 500 Kilobyte verbraucht - oder eben vier bis sieben Euro, je nach Land, Anbieter und Tarif. Einmal täglich Nachrichten checken - ohne einen einzigen Artikel zu lesen - kostet im Urlaub für den unvorsichtigen UMTS-Anwender also in zwei Wochen locker mal 100 Euro. Wer viel surft, oder mit großen Dateien wie PDFs oder Videos arbeitet, kommt schnell auf noch viel horrendere Summen.


SPIEGEL ONLINE - 25. September 2006, 11:31
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/telefonkultur/0,1518,438098,00.html

unabhängige Experte stimmen überein:

"Wenn Sie mit größeren Datenmengen hantieren, sind sie im Ausland fast mit jedem Tarif übel dran", stellt Josefine Milosevic, Tarifexpertin bei der Zeitschrift "connect", fest. Brancheninsider, die lieber ungenannt bleiben möchten, werden noch deutlicher: Unter vier Augen werden freimütig Begriffe wie "Raubrittertum" und "Abzocke" benutzt.

Kein Wunder, dass die Benützung der technisch schon Jahrenlang bestehenden Möglichkeiten, stagniert. Die im Jahre 2000 in Lissabon von den EU-Staatsüberhaupten verkündete Sprung nach vorn, die Europa in 2010 mittels e-Kommunikation und Dot.Com zum ökonomischen Weltmeister machen sollte, leidet unter den Autodestruktionstrieb der Marktwirkungsaxiomen. Der Spiegel:

Mobile Datendienste werden von Privatkunden bislang kaum genutzt - im Jahr 2005 etwa machten solche Dienste beispielsweise gerade mal 2,7 Prozent des Gesamtumsatzes der vier großen deutschen Mobilfunkbetreiber aus, der Großteil entfällt auf Business-Anwender. Analysten prophezeien dem Business-Segment im Mobilmarkt eine Phase der Stagnation - der Markt ist weitgehend aufgeteilt, und zwar vor allem zwischen Vodafone und T-Mobile. E-Plus und O2 fallen mit jeweils unter zehn Prozent Marktanteil in diesem Bereich kaum ins Gewicht. Wachstum ist für die Kleinen nur möglich, indem sie den Großen Kunden abjagen. Und für die Großen nur, indem sie ihren Kunden zusätzliche Dienste für zusätzliches Geld verkaufen.

Es dürfte inzwischen doch bekannt sein, dass Monopolisten und Oligopolisten ihren Gewinne oft holen aus Verlangsamung der Anwendung von technischen Erneuerungen. Microsoft ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn es nicht möglich ist, die Markt aufzurüttelen mit neuen Spielern, soll die Reglementierungsbehörde eingreifen. Die Experte des Spiegel aber wundern sich über dieses Phänomen:

"Eigentlich sollte der Markt in diesem Bereich also besonders hart umkämpft sein - schließlich geht es um ein Wachstumsgebiet für die nächsten Jahre. "Bei Datendiensten ist man in der Branche immer etwas langsamer", sagt "connect"-Redakteurin Josefine Milosevic.

Wir wissen, warum.
Die Europakommission soll jetzt durchgreifen. Für den Konsüment. Aber auch gegen die technisch und ökonomisch schädliche Trainierung der Monopolisten.
Die Kommission wird das nicht tun können, ohne einer Aufschrei von uns, der Verbrauchern.

18 September, 2006

Nochmals: Die Quellen des Papstes

BigBerta, unermüdlich, schreibt schneller als Gott lesen kann.

Und, leider, sicherlich auch schneller als ein Sterblicher wie ich, übersetzen könnte.

Der Papst, unfehlbar seit dem XIX. Jahrhundert, aber nur wenn er "ex Cathedra" spricht, (was er nicht tat als er in Bayern philosophierte über die Mitteln der Verbreitung des Glaubens), hat sich entschüldigt vor dem allweltlichen Publikum. Er hat sich geirrt. Er hat es nicht so gemeint. Na ja: Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn es nicht diese teuflische Unfehlbarkeit gegeben hätte.

Und wenn es nicht die heutige Verrücktheit der Glaubensverhältnissen gegeben hätte.

Ein neues amerikanisches Buch, von Frank Rich, "The Greatest Story Ever Sold", über die Busshen Manipulationen nach "9/11", sagt es besser als ich es könnte: "Der Sicherheitsdiskurs der Regierungen dient nur um ihre Ohnmacht zu verhehlen". Mit andern Wörtern: Weil die Regierungen nichts vermögen gegen die Dauernde Erniedrigung der Bevölkerungsmassen, ja, weil sie eng verknüpft sind mit ihren Gönnern die dies verursachen, nützen sie jede mögliche, für sie ungefährliche, Gelegenheit aus, um die Frustrierung ihrer Untertanen in eine falsche Richtung zu lenken. Das ist was jetzt wieder vor sich geht.

Die Lappalie der päpstlichen Zitaten, wird hierunter noch einmal dargelegt von Bigberta in ihrem Blog (siehe rechts unten in der Seitenspalte):

Kaiser Manuel, (S) Phrantzes und sonstige merkwürdige Quellen

Moin, Ihr Lieben, ich habe den gestrigen Abend und den Umstand, daß ich momentan rücken technisch etwas Probleme mit dem Sitzen habe, noch etwas genutzt, mich mal über den Kaiser schlauzumachen. Dazu darf ich erwähnen, daß ich gestern noch "Metropolis" geschaut habe, über die letzten Jahre von Byzanz. Und was ich da gelernt habe, will ich Euch nicht vorenthalten, also:

Manuel regierte als vorletzter der Paläologen, als das byzantinische Reich nur noch eine Ansammlung verstreuter Marktflecken war. Konstantinopel war im fünften Kreuzzug durch die "Lateiner" zerstört und geplündert worden. Sogar die Löwen auf dem Markusplatz sind ein Teil der Kriegsbeute von damals. Die Paläologen agierten hin und her und haben sich sogar an Tamerlan angewanzt, um ihren Thron zu behalten und es gab Thronstreitigkeiten auf beiden Seiten und ein Heidendurcheinander. Sach' ich ma' so flott, um klarzustellen, worum es - wieder mal! - nicht ging: Christentum gegen Islam. Es ging um Allianzen, es ging um Verrat, bloß ging es nicht um: Christentum gegen Islam. Manuel ist sogar durch Europa gereist, um Verbündete zu finden. Hat er aber nicht, sieht man von König Sigismund von Ungarn ab. Dem Papst kann der Schutz Konstantinopels vor den Osmanen so wichtig nicht gewesen sein, denn er knüpfte ihn an die Wiedervereinigung der Kirchen unter dem Primat des Papstes.

Wie nun die Dialoge? Es handelt sich um die "26 Dialoge mit einem Perser", die angeblich stattgefunden hatte, als Manuel sich als "Ehrengeisel" im Feldlager des Sultans befand. In
dieser Quelle auf Seite 8 im 2. Absatz steht zu diesen Dialogen:

Apart from the Emperor's writings there is no independent proof that the conversations ever took place. They must represent a mixture of facts and fictions.

Was übersetzt heißt: Abgesehen von den Schriften des Kaisers gibt es keinen unabhängigen Beweis, daß diese Konversationen je stattgefunden haben. Sie repräsentieren einen Mix aus Fakten und Fiktionen. Womit wir beim Thema "Fakten und Fiktionen" wären, das solches für bare Münze nimmt, und eine letzte Woche verstorbene Schreibse mit solchen Einträgen würdigt.

Wer's lesen will: Sterne rausmachen.

Da seht Ihr dann auch den Haushistoriker von Kaiser Manuel, (S)Phrantzes zitiert. Dazu Wikipedia, steht aber auch in anderen Quellen:

Wie Ihr daraus ersehen könnt, gilt das, was Sphrantzes uns hinterlassen hat, aus dem Grund als fragwürdig, weil man nie sicher sein kann, was in späterer Zeit in politischer Absicht hinzugefügt worden ist.. In der oben zitierten Quelle über den Kaiser Manuel steht, daß es eine traditionell anti-islamische byzantinische Polemik gegeben habe.

In dem oben zitierten Islamhasser-blog wird dann die "Schedel'sche Weltchronik zitiert (als Beweis für das, was Oriana F. schreibt). Dazu: bei allem Gewedel mit Israelflaggen sind sich solche blogs nicht zu schade, auch Quellen heranzuziehen, die ganz klar antisemitische Kapitel enthalten, und eine Lüge zu zitieren:

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So kann, wie die zitierte Schedelsche Weltkronik schreibt, der letzte Byzantinerkaiser nicht enthauptet worden sein. siehe hier.

Was lernen wir daraus: Zitate und Quellen kritisch würdigen. Es sei denn, man ist "Islamkritiker".

16 September, 2006

Nur jene können antworten, die zuhören. Sure 19:3 – oder: die Aufregung um die Papst - Vorlesung

Bigberta schreibt dieses in ihrem Blog (siehe auch in der rechte Spalte hier) über die Aufregung wegen der papstlichen Mahnungen zur friedlichen Verbreitung des Evangeliums. (Und sie kann es wissen, als Köllnische, UND Muslemin...):

Da ich so langsam den Eindruck habe, dass sich schon wieder viele Leute über etwas aufregen, was sie überhaupt nicht, oder wenn, dann nur in Bruchstücken kennen, schlage ich dringend vor, die Rede überhaupt erst einmal als Ganzes zu lesen. Die aufgeregte Diskussion, die jetzt entstanden ist, ist – genau wie beim Karikaturenstreit schon wieder einmal eine Spiegelfechterei: man redet auf beiden Seiten einer gedachten Barrikade schon wieder über etwas, wie man es gerne hätte. [...]
Der Papst fängt an und erinnert sich an die Universität alter Prägung, die noch eine Gesamtheit des Wissens repräsentierte. Man hat anlässlich eines Dies academicus gemeinsam aus dem Blickwinkel aller Disziplinen über ein Thema gesprochen und da die Theologie dort immer mit vertreten war, war die Einheit von Vernunft und Glauben gegeben. Damals Ordinarius zu sein, hieß, die Einheit von Lehre und Person zu verkörpern und ich kann mich noch daran erinnern, wenn es irgendwo, gar nicht mal so lange vor meiner Zeit, da wurde das akademische Studium beschrieben mit Sätzen wie: „Er ging nach Freiburg, um Heidegger zu hören.“ Oder, bei Medizinern: „Er promovierte bei Derra...“, worauf jeder wusste, dass das erstens in Düsseldorf war, zweitens in der Herzchirurgie. In diese Tradition stellt sich der Papst mit dieser Einleitung.
Dann berichtet er, er habe ein Werk des im Libanon geborenen, mittlerweile emeritierten katholischen Theologieprofessors, Adel Theodore Khoury gelesen. Professor Khourys Werk steht und stand für Dialog und Integration. Eine Ausführliche Bibliographie findet sich in diesem Wikipedia-Eintrag.
Nach meinem Verständnis sagt der Papst einleitend hiermit, daß er sich bei jemandem belesen hat, dessen Lebenswerk in Deutschland für Dialog und Integration spricht. Dann teilt er uns mit, er habe ein im Rahmen dieses Dialoges einen Text gewählt,nämlich im Dialog eines byzantinischen Kaisers, Manuel II. Palaeologos mit einem persischen Gelehrten nicht das Verhältnis zwischen Altem und Neuen Testament sowie Koran, sondern einen eher eher marginalen Punkt als Aufhänger genommen: das Verhältnis von Glauben, Vernunft und Gewalt. Das Zitat des Kaisers Manuel II. Palaelogos ist ja mittlerweile weithin bekannt, aber leider auch oft das Einzige, was von diesem Vortrag bekannt ist. Leider. Hier ist es:

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"Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten ... Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider."
Es gehe ihm, dem Papst darum, mit Kaiser Manuel klarzustellen, daß:
"Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zu einer guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung."
Wie beschreibt der Papst dieses Zitat? Der Kaiser habe "zugeschlagen".
Auf dieses Zitat leitet er hin durch die Erwähnung, dass der Kaiser auch vom Djihad, gesprochen habe, der hier einzig in seiner angeblichen Bedeutung als "Heiliger Krieg" erfasst ist. Ich möchte mich jetzt nicht darin vertiefen, daß der Begriff "Heiliger Krieg" kein muslimischer Ausdruck ist, sondern nur feststellen, daß diese Passage keinen allzugroßen Raum einnimmt.
Leider gibt er den Zusammenhang des Gespräches nicht bekannt, denn dann hätte man an Hand der biographischen Daten von Kaiser Manuel zu jener Zeit eventuell garnicht mehr so erstaunt über die "Schroffheit" sein müssen. Er war nämlich von den Osmanen zum Tributdienst bei einem Feldzug verpflichtet, sozusagen "zwangsverpflichtet" worden und nur einige Wochen später ergriff er die Flucht. Möglicherweise ist der Dialog aber auch fiktiv und es war nicht nur im Mittelalter üblich, seine Gedanken in Dialogform zu Papier zu bringen, und zum Anfang auch schon einmal rhetorisch "zuzuschlagen":

Kusari
Ausgabe jüdischer Verlag Morascha 1990, die Ausgabe, auf die ich mich im Folgenden beziehe.

Einer der Großen Drei des "Goldenen Zeitalters Andalusiens, der Arzt, Philosoph und Dichter Jehuda Halevi ben Schmuel, arabisch: Abulhassan hat im zwölften Jahrhundert die obige Schrift "der Kusari" verfasst, eine Untersuchung über die philosphisch-theologischen Grundlagen des Judentums, für die er als äusseren Rahmen ein fiktives Gespräch des Königs des Turkvolkes der Khazaren mit einem Philosophen, einem Juden, einem Muslim und einem Christen wählt. Die Khazaren sind im 9. Jahrhundert fast geschlossen zum Judentum übergetreten, angeblich, nachdem ihr König sich sich durch viele Dialoge von der vernunftgemäßen Überlegenheit des jüdischen Glaubens überzeugt hat. Auch Halevi "schlägt zu", um die Aufmerksamkeit seiner Leser zu wecken. Es steht im ersten Abschnitt, im Absatz 12. Kusari:
Ich war von Anfang an mit mir einig, einen Juden nicht zu befragen, weil ich von ihrer Herabgekommenheit und geistigen Versunkenheit überzeugt war, da ja Druck und Elend ihnen keine gute Eigenschaft gelassen. (S. 45)
Würde man dieses Zitat aus dem Zusammenhang reissen, Du lieber Himmel. Es geht aber ganz schnell dazu über, daß der Dialog mit dem Juden der wichtigste wird. Sehr schnell ändert der König seine vorgefasste Meinung - Absatz 14. Kusari:
Ich finde, dass deine Rede, Jude, von Anfang an gut war, und bin jetzt geneigt, weiter mit dir zu reden. (S. 47)
Auch hier geht es um Glauben und Vernunft. So heisst es bereits in der Einleitung:
"...und seine Seele (nämlich die desjenigen, der nach der Erkenntnis Gottes strebt, BB) ruht im Leben in Gemeinschaft mit Hermes, Aesculap, Sokrates, Plato und Aristoteles; denn diese und er und jeder, der ihre Höhe erreicht, sind mit dem Tätigen Verstand eines und bestehen für immer. Und das wird "Wohlgefallen G''ttes" genannt, im figürlichen oder approximativen Sinne."
und weiter: "Dem jage nach: strebe nach wqahrhafter Erkenntnis der Dinge bis dein Verstand ein Tätiger aus dem Leidenden wird. Schliesse dich den Wegen der Frommen in Eigenschaften und Handlungen an, denn sie sind eine Beihilfe zur Erkenntnis der Wahrheit, zur Ausdauer im Forschen und zum Aufgehen in jenem Tätigen Verstand. Das führt dich sofort...zu der Verehrung, die man der Ersten Ursache weihet."
und: Fern sei es von Gott, daß die Thora etwas enthielte, was Erfahrung oder Verstandesbeschluss umstoßen könnte.

Ein Beispiel dafür, daß auch im Islam Vernunft und Glauben eine Enheit bilden ist die Sure 16, an-Nahl - die Biene. Andernorts wird vielfach ebenfalls betont, daß Streben nach Wissen und Religion eine Einheit bilden, Besonders bemerkenswert ist die Reihenfolge in jenem Hadith (=Prophetentradition):
Drei Arten von Menschen legen am Tage des Gerichtes Fürbitte ein: Erst die Propheten, dann die Gelehrten, dann die Märtyrer. (Sammlung Ihn Madscha)

Aber zurück zum Text. Der Papst sagt hier:
"An dieser Stelle tut sich ein Scheideweg zwischen im Verständnis Gottes und in der Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert." Um sich dann weiter der - aus seiner Sicht - Einheit von "griechischer" Vernunft und "dem auf die Bibel gegründeten Gottesglauben - das Gleiche, daß der "Kusari" auch thematisiert.

Aber auch das arabisch-islamische Denken hat vom griechischen Einfluss profitiert, und es ist eine Binse, daß arabische Übersetzer für uns viele griechische Texte überhaupt erst erhalten haben.
Die bekannteste rationalistische Richtung der islamischen Philosophie waren die Mutaziliten, hier die Verlinkung zum wesentlich ausführlicheren englischen Wikipedia-Artikel.

Wesentlich ist Papst Benedikt das, was er als die "Enthellenisierung des Glaubens" beschreibt, den Schutz des Glaubens vor der "Fremdbestimmung durch ein nicht aus ihm kommendes Denken", die in drei Wellen stattgefunden habe. Die dritte Welle der Enthellenisierung habe eine Überbewertung von bloßer Empirie hervorgerufen, die die Frage nach Gott, Seele und Moral ausschließe, die natürlich nicht empirisch zu messen seien. Desweiteren bedeute Enthellenisierung im Dialog der Kulturen, daß man diese anderen Kulturen auf diese "inkulturation" des Griechischen nicht festlegen dürfe. Für Judentum und Islam ist dies zumindest erstaunlich, denn, wie ich ja oben nachgewiesen habe, wurden auch sie beide durch griechisches Denken beeinflusst. Wenn er schreibt:
"Wissenschaftlichkeit ist im übrigen Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung die zu den wesentlichen Entscheiden des Christentums gehört. Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint, sondern um die Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und - gebrauchs geht es. so mahnt er er eine Haltung zur Wissenschaft an, die meines Erachtens das heutige Christentum - das ja nicht allein durch die römisch-katholische repräsentiert wird - nicht eben auszeichnet.
Wenn er dann schreibt, "...daß bei einem von dieser Sichtweise bestimmten Versuch, Theologie 'wissenschaftlich' zu erhalten vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrigbleibt", so meint das den fehlerhaften Gebrauch von Empirie - und ist genauso auch für andere Religionen gültig. Dann müssten die "Fragen der Religion und des Ethos...ins Subjektive verlegt werden...Wir sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und Vernunft..."

Zusammengefasst:
  • Papst Benedikt beklagt, daß im Westen das Göttliche aus der Universalität der Vernunft ausgeschlossen sei.
  • Dies würden die "tief religiösen Kulturen" der Welt als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen ansehen.
  • Mit der "Ausweitung unseres Vernunftbegriffs" kann dieser Widerspruch aufgehoben und
  • die christliche Welt zum wirklichen Dialog fähig werden.
Das problematische daran ist:
  • Er hat sich eines "Zeichensatzes" bedient - Universitas, Dies academicus, Universitas scientiarum, sowie einen Kontext zitiert, bei dem er nicht mehr sicher sein konnte, von jemandem ausserhalb dieses Kontextes verstanden zu werden.
  • Er hat sich für diese Vorlesung in den "Professor Ratzinger" zurückverwandeln wollen, was nicht geht.
  • Er hätte für die von ihm behandelten Fragen auch Belege dafür finden können, daß sie z.B. im Judentum und Islam ebenfalls behandelt wurden. Durch die Nichtberücksichtigung des Islam während seiner Reise - Vertreter des Judentums waren meines Wissens beim ökumenischen Gottesdienst dabei - haben sich Muslime möglicherweise ausgeschlossen gefühlt.
  • Wenn es eine theologische Vorlesung war: warum ist es denn nicht mit "Vorlesung" überschrieben, sondern mit "Ansprache"?
  • Wer saß im Auditorium und wer nicht?
  • Dies war möglicherweise etwas ungeschickt, aber mehr auch nicht und
  • schon gar kein Grund sich irgendwo zu entschuldigen.
Woher dann die Aufregung?
  1. Weil von Anfang an auch in seriösen Medien der Inhalt der Rede auf "Islamkritik" und "Islam und Gewalt" verkürzt wurde und
  2. damit aus meiner Sicht falsch wiedergegeben, und
  3. dies schon in den seriösen Medien somit
  4. braucht man sich über den Jubel der "Politisch Inkorrekten" nicht zu wundern.
  5. Dies hat der verantwortungslosen "Flächenorchestrierung" in der islamischen Welt zumindest Vorschub geleistet.
Allerdings zeigt es aus meiner Sicht auch ein betrübliches Defizit in der islamischen Welt: die fahrlässig fehlende Vermittlung europäischer Geistes- und Ideengeschichte.

Fest steht für mich: kaum jemand hat - fahrlässig oder böswillig - Papst Benedikt XVI. richtig zugehört. Das wird nicht ohne Folgen bleiben.
"Amen und Schluss", möchte ich dazu sagen.
Es war ungeschickt, aber nicht falsch gemeint.
Es war gar nicht eine Provokation wie die dänische Karikaturen, und auch nicht eine Etikettenkleberei wie President Bush' "Islamofascism" oder eine herablassende Aussprache wie Ayaan Hirsi Ali sie oft gemacht hat.
Selbstverständlich wäre es besser gewesen, wenn Papst Benedikt an christlichen Exempeln erinnert hätte, statt an muslemischen. Die Kreuzfahrten, zum Beispiel. Oder die Inquisition.
Und, nebenbei gesagt, die türkische Eroberung Kleinasiens und der Balkan war nur teilweise motiviert von Glaubenseifer. Es war ein nationaler, stammeskulturbedingter, Feldzug zur Eroberung von Lebensraum für die westlich migrierenden türkischen Stämmen.
Dies ist ein Phenomen dass wir nur allzu gut kennen aus der christlichen Geschichte: die Jesuiten in den spanischen Kolonien in Amerika, die Missionäre in Ostasien, usw.

Die ängstliche, autoritäre und zunehmend vom Westen demütigte Regime vieler muslemischen Staaten, haben, zum Beispiel an den dänischen Karikaturen, eine bequeme Strategie entdeckt, um sowohl ihre eigene Machtlosigkeit zu verdecken mittels Auftreten als Verteidiger des Glaubens, als die Frustrationen der Bevölkerung nach (für sie) ungefährlichen Protesten abzulenken. Das ist was heute wieder vor sich geht.

Der Papst hat sich entschüldigt (wie einigen Tagen vorher der holländische Minister Donner), aber das war gar nicht nötig, denn es handelte sich um Überlegungen die gezielt sind auf Dialog und Respekt für Andern.
Wir leben unter eine höllische Spirale von Inzidenten, die ausgebeutet und angetrieben wird von rücksichtslosen Antidemokraten.
Es ist Zeit für die Stimmen der Vernunft um sich hören zu lassen!

(Bigbertas Text ist leicht korrigiert, Filmische Illustrationen sind ausgelassen worden. Holl. Übersetzung folgt in In Europa Thuis und De Lage Landen und vielleicht auch in den französischen Blogs L'Europe chez Soi und Toto Le Psycho. Danke, BigBerta!)
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