Da ich so langsam den Eindruck habe, dass sich schon wieder viele Leute über etwas aufregen, was sie überhaupt nicht, oder wenn, dann nur in Bruchstücken kennen, schlage ich dringend vor, die Rede überhaupt erst einmal als Ganzes zu lesen. Die aufgeregte Diskussion, die jetzt entstanden ist, ist – genau wie beim Karikaturenstreit schon wieder einmal eine Spiegelfechterei: man redet auf beiden Seiten einer gedachten Barrikade schon wieder über etwas, wie man es gerne hätte. [...]Woher dann die Aufregung?
Der Papst fängt an und erinnert sich an die Universität alter Prägung, die noch eine Gesamtheit des Wissens repräsentierte. Man hat anlässlich eines Dies academicus gemeinsam aus dem Blickwinkel aller Disziplinen über ein Thema gesprochen und da die Theologie dort immer mit vertreten war, war die Einheit von Vernunft und Glauben gegeben. Damals Ordinarius zu sein, hieß, die Einheit von Lehre und Person zu verkörpern und ich kann mich noch daran erinnern, wenn es irgendwo, gar nicht mal so lange vor meiner Zeit, da wurde das akademische Studium beschrieben mit Sätzen wie: „Er ging nach Freiburg, um Heidegger zu hören.“ Oder, bei Medizinern: „Er promovierte bei Derra...“, worauf jeder wusste, dass das erstens in Düsseldorf war, zweitens in der Herzchirurgie. In diese Tradition stellt sich der Papst mit dieser Einleitung.
Dann berichtet er, er habe ein Werk des im Libanon geborenen, mittlerweile emeritierten katholischen Theologieprofessors, Adel Theodore Khoury gelesen. Professor Khourys Werk steht und stand für Dialog und Integration. Eine Ausführliche Bibliographie findet sich in diesem Wikipedia-Eintrag.
Nach meinem Verständnis sagt der Papst einleitend hiermit, daß er sich bei jemandem belesen hat, dessen Lebenswerk in Deutschland für Dialog und Integration spricht. Dann teilt er uns mit, er habe ein im Rahmen dieses Dialoges einen Text gewählt,nämlich im Dialog eines byzantinischen Kaisers, Manuel II. Palaeologos mit einem persischen Gelehrten nicht das Verhältnis zwischen Altem und Neuen Testament sowie Koran, sondern einen eher eher marginalen Punkt als Aufhänger genommen: das Verhältnis von Glauben, Vernunft und Gewalt. Das Zitat des Kaisers Manuel II. Palaelogos ist ja mittlerweile weithin bekannt, aber leider auch oft das Einzige, was von diesem Vortrag bekannt ist. Leider. Hier ist es:
"Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten ... Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider."
Es gehe ihm, dem Papst darum, mit Kaiser Manuel klarzustellen, daß:
"Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zu einer guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung."
Wie beschreibt der Papst dieses Zitat? Der Kaiser habe "zugeschlagen".
Auf dieses Zitat leitet er hin durch die Erwähnung, dass der Kaiser auch vom Djihad, gesprochen habe, der hier einzig in seiner angeblichen Bedeutung als "Heiliger Krieg" erfasst ist. Ich möchte mich jetzt nicht darin vertiefen, daß der Begriff "Heiliger Krieg" kein muslimischer Ausdruck ist, sondern nur feststellen, daß diese Passage keinen allzugroßen Raum einnimmt.
Leider gibt er den Zusammenhang des Gespräches nicht bekannt, denn dann hätte man an Hand der biographischen Daten von Kaiser Manuel zu jener Zeit eventuell garnicht mehr so erstaunt über die "Schroffheit" sein müssen. Er war nämlich von den Osmanen zum Tributdienst bei einem Feldzug verpflichtet, sozusagen "zwangsverpflichtet" worden und nur einige Wochen später ergriff er die Flucht. Möglicherweise ist der Dialog aber auch fiktiv und es war nicht nur im Mittelalter üblich, seine Gedanken in Dialogform zu Papier zu bringen, und zum Anfang auch schon einmal rhetorisch "zuzuschlagen":
Ausgabe jüdischer Verlag Morascha 1990, die Ausgabe, auf die ich mich im Folgenden beziehe.
Einer der Großen Drei des "Goldenen Zeitalters Andalusiens, der Arzt, Philosoph und Dichter Jehuda Halevi ben Schmuel, arabisch: Abulhassan hat im zwölften Jahrhundert die obige Schrift "der Kusari" verfasst, eine Untersuchung über die philosphisch-theologischen Grundlagen des Judentums, für die er als äusseren Rahmen ein fiktives Gespräch des Königs des Turkvolkes der Khazaren mit einem Philosophen, einem Juden, einem Muslim und einem Christen wählt. Die Khazaren sind im 9. Jahrhundert fast geschlossen zum Judentum übergetreten, angeblich, nachdem ihr König sich sich durch viele Dialoge von der vernunftgemäßen Überlegenheit des jüdischen Glaubens überzeugt hat. Auch Halevi "schlägt zu", um die Aufmerksamkeit seiner Leser zu wecken. Es steht im ersten Abschnitt, im Absatz 12. Kusari:
Ich war von Anfang an mit mir einig, einen Juden nicht zu befragen, weil ich von ihrer Herabgekommenheit und geistigen Versunkenheit überzeugt war, da ja Druck und Elend ihnen keine gute Eigenschaft gelassen. (S. 45)
Würde man dieses Zitat aus dem Zusammenhang reissen, Du lieber Himmel. Es geht aber ganz schnell dazu über, daß der Dialog mit dem Juden der wichtigste wird. Sehr schnell ändert der König seine vorgefasste Meinung - Absatz 14. Kusari:
Ich finde, dass deine Rede, Jude, von Anfang an gut war, und bin jetzt geneigt, weiter mit dir zu reden. (S. 47)
Auch hier geht es um Glauben und Vernunft. So heisst es bereits in der Einleitung:
"...und seine Seele (nämlich die desjenigen, der nach der Erkenntnis Gottes strebt, BB) ruht im Leben in Gemeinschaft mit Hermes, Aesculap, Sokrates, Plato und Aristoteles; denn diese und er und jeder, der ihre Höhe erreicht, sind mit dem Tätigen Verstand eines und bestehen für immer. Und das wird "Wohlgefallen G''ttes" genannt, im figürlichen oder approximativen Sinne."
und weiter: "Dem jage nach: strebe nach wqahrhafter Erkenntnis der Dinge bis dein Verstand ein Tätiger aus dem Leidenden wird. Schliesse dich den Wegen der Frommen in Eigenschaften und Handlungen an, denn sie sind eine Beihilfe zur Erkenntnis der Wahrheit, zur Ausdauer im Forschen und zum Aufgehen in jenem Tätigen Verstand. Das führt dich sofort...zu der Verehrung, die man der Ersten Ursache weihet."
und: Fern sei es von Gott, daß die Thora etwas enthielte, was Erfahrung oder Verstandesbeschluss umstoßen könnte.
Ein Beispiel dafür, daß auch im Islam Vernunft und Glauben eine Enheit bilden ist die Sure 16, an-Nahl - die Biene. Andernorts wird vielfach ebenfalls betont, daß Streben nach Wissen und Religion eine Einheit bilden, Besonders bemerkenswert ist die Reihenfolge in jenem Hadith (=Prophetentradition):
Drei Arten von Menschen legen am Tage des Gerichtes Fürbitte ein: Erst die Propheten, dann die Gelehrten, dann die Märtyrer. (Sammlung Ihn Madscha)
Aber zurück zum Text. Der Papst sagt hier:
"An dieser Stelle tut sich ein Scheideweg zwischen im Verständnis Gottes und in der Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert." Um sich dann weiter der - aus seiner Sicht - Einheit von "griechischer" Vernunft und "dem auf die Bibel gegründeten Gottesglauben - das Gleiche, daß der "Kusari" auch thematisiert.
Aber auch das arabisch-islamische Denken hat vom griechischen Einfluss profitiert, und es ist eine Binse, daß arabische Übersetzer für uns viele griechische Texte überhaupt erst erhalten haben.
Die bekannteste rationalistische Richtung der islamischen Philosophie waren die Mutaziliten, hier die Verlinkung zum wesentlich ausführlicheren englischen Wikipedia-Artikel.
Wesentlich ist Papst Benedikt das, was er als die "Enthellenisierung des Glaubens" beschreibt, den Schutz des Glaubens vor der "Fremdbestimmung durch ein nicht aus ihm kommendes Denken", die in drei Wellen stattgefunden habe. Die dritte Welle der Enthellenisierung habe eine Überbewertung von bloßer Empirie hervorgerufen, die die Frage nach Gott, Seele und Moral ausschließe, die natürlich nicht empirisch zu messen seien. Desweiteren bedeute Enthellenisierung im Dialog der Kulturen, daß man diese anderen Kulturen auf diese "inkulturation" des Griechischen nicht festlegen dürfe. Für Judentum und Islam ist dies zumindest erstaunlich, denn, wie ich ja oben nachgewiesen habe, wurden auch sie beide durch griechisches Denken beeinflusst. Wenn er schreibt:
"Wissenschaftlichkeit ist im übrigen Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung die zu den wesentlichen Entscheiden des Christentums gehört. Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint, sondern um die Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und - gebrauchs geht es. so mahnt er er eine Haltung zur Wissenschaft an, die meines Erachtens das heutige Christentum - das ja nicht allein durch die römisch-katholische repräsentiert wird - nicht eben auszeichnet.
Wenn er dann schreibt, "...daß bei einem von dieser Sichtweise bestimmten Versuch, Theologie 'wissenschaftlich' zu erhalten vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrigbleibt", so meint das den fehlerhaften Gebrauch von Empirie - und ist genauso auch für andere Religionen gültig. Dann müssten die "Fragen der Religion und des Ethos...ins Subjektive verlegt werden...Wir sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und Vernunft..."
Zusammengefasst:Das problematische daran ist:
- Papst Benedikt beklagt, daß im Westen das Göttliche aus der Universalität der Vernunft ausgeschlossen sei.
- Dies würden die "tief religiösen Kulturen" der Welt als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen ansehen.
- Mit der "Ausweitung unseres Vernunftbegriffs" kann dieser Widerspruch aufgehoben und
- die christliche Welt zum wirklichen Dialog fähig werden.
- Er hat sich eines "Zeichensatzes" bedient - Universitas, Dies academicus, Universitas scientiarum, sowie einen Kontext zitiert, bei dem er nicht mehr sicher sein konnte, von jemandem ausserhalb dieses Kontextes verstanden zu werden.
- Er hat sich für diese Vorlesung in den "Professor Ratzinger" zurückverwandeln wollen, was nicht geht.
- Er hätte für die von ihm behandelten Fragen auch Belege dafür finden können, daß sie z.B. im Judentum und Islam ebenfalls behandelt wurden. Durch die Nichtberücksichtigung des Islam während seiner Reise - Vertreter des Judentums waren meines Wissens beim ökumenischen Gottesdienst dabei - haben sich Muslime möglicherweise ausgeschlossen gefühlt.
- Wenn es eine theologische Vorlesung war: warum ist es denn nicht mit "Vorlesung" überschrieben, sondern mit "Ansprache"?
- Wer saß im Auditorium und wer nicht?
- Dies war möglicherweise etwas ungeschickt, aber mehr auch nicht und
- schon gar kein Grund sich irgendwo zu entschuldigen.
"Amen und Schluss", möchte ich dazu sagen.Allerdings zeigt es aus meiner Sicht auch ein betrübliches Defizit in der islamischen Welt: die fahrlässig fehlende Vermittlung europäischer Geistes- und Ideengeschichte.
- Weil von Anfang an auch in seriösen Medien der Inhalt der Rede auf "Islamkritik" und "Islam und Gewalt" verkürzt wurde und
- damit aus meiner Sicht falsch wiedergegeben, und
- dies schon in den seriösen Medien somit
- braucht man sich über den Jubel der "Politisch Inkorrekten" nicht zu wundern.
- Dies hat der verantwortungslosen "Flächenorchestrierung" in der islamischen Welt zumindest Vorschub geleistet.
Fest steht für mich: kaum jemand hat - fahrlässig oder böswillig - Papst Benedikt XVI. richtig zugehört. Das wird nicht ohne Folgen bleiben.bigberta - 15. Sep, 16:28
Es war ungeschickt, aber nicht falsch gemeint.
Es war gar nicht eine Provokation wie die dänische Karikaturen, und auch nicht eine Etikettenkleberei wie President Bush' "Islamofascism" oder eine herablassende Aussprache wie Ayaan Hirsi Ali sie oft gemacht hat.
Selbstverständlich wäre es besser gewesen, wenn Papst Benedikt an christlichen Exempeln erinnert hätte, statt an muslemischen. Die Kreuzfahrten, zum Beispiel. Oder die Inquisition.
Und, nebenbei gesagt, die türkische Eroberung Kleinasiens und der Balkan war nur teilweise motiviert von Glaubenseifer. Es war ein nationaler, stammeskulturbedingter, Feldzug zur Eroberung von Lebensraum für die westlich migrierenden türkischen Stämmen.
Dies ist ein Phenomen dass wir nur allzu gut kennen aus der christlichen Geschichte: die Jesuiten in den spanischen Kolonien in Amerika, die Missionäre in Ostasien, usw.
Die ängstliche, autoritäre und zunehmend vom Westen demütigte Regime vieler muslemischen Staaten, haben, zum Beispiel an den dänischen Karikaturen, eine bequeme Strategie entdeckt, um sowohl ihre eigene Machtlosigkeit zu verdecken mittels Auftreten als Verteidiger des Glaubens, als die Frustrationen der Bevölkerung nach (für sie) ungefährlichen Protesten abzulenken. Das ist was heute wieder vor sich geht.
Der Papst hat sich entschüldigt (wie einigen Tagen vorher der holländische Minister Donner), aber das war gar nicht nötig, denn es handelte sich um Überlegungen die gezielt sind auf Dialog und Respekt für Andern.
Wir leben unter eine höllische Spirale von Inzidenten, die ausgebeutet und angetrieben wird von rücksichtslosen Antidemokraten.
Es ist Zeit für die Stimmen der Vernunft um sich hören zu lassen!
(Bigbertas Text ist leicht korrigiert, Filmische Illustrationen sind ausgelassen worden. Holl. Übersetzung folgt in In Europa Thuis und De Lage Landen und vielleicht auch in den französischen Blogs L'Europe chez Soi und Toto Le Psycho. Danke, BigBerta!)
Herzlichen Dank, Huib. Dann könnte man auf die niederländische übersetzung ja evtl auch http://www.wijblijvenhier.nl/index.php
AntwortenLöschenaufmerksam machen. Mich würde nämlich sehr interessieren, wie die niederländischen Muslime das sehen.
Herzlichst
BigBerta
OK, BB!
AntwortenLöschen