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29 Dezember, 2006

Wallfahrt und Raumfahrt in Bremen-Gröpelingen

Original in Huibs UR.Blog auf der e-urban Webseite.
Vendredi, décembre 29, 2006 at 04:41
; Huib Riethof, e-urban administrator in [DE]

.

Grau war der Himmel über Gröpelingen.

Es regnete in Bremen. Ich machte eine kurze Wallfahrt nach das Ort, wo ich im Jahre 2002 oder 2003 ein URBAN-Schlussfest überrascht hatte mit dem Philosophen Peter Sloterdijk. Dieser deutsche Philosoph hat die modische Errichtung von Themaparks als Ersatz für das reale Leben angeklagt in seinem Buche, wo er von "Menschenparks" spricht.

Tierpark - Menschenpark: Es ist nur ein kleiner Schritt.

Die freie Hansestadt Bremen hat sich als Raumfahrtstandort durchsetzen wollen.
Das Millionenmanna des URBAN Programms (II) sollte helfen den Traum wenigstens parkenhaft zu verwirklichen. Deswegen schuf man auf dem Gelände der stillgelegten Werften an der Weser ein "SpacePark", oder, genauer, ein "Space Park Center". Beton- und Glas Architektur. Riesenhaft. Ein horizontaler Babelsturm.

Ein kommerzielles Bereich war vorgesehen, um die Exploitation zu ermöglichen (weswegen das "Center" in der Name).
Aber nach sechs Monaten eröffnet gewesen zu sein, musste das ganze Center schliessen wegen ungenügendes Besuchs. Das geschah aber zwei Jahre nach meiner pessimistischen Prophetie.

Diese Letzte wurde vorgetragen im "Lichthause", ein Überrest vom Werftencomplexe, das im Rahmen des "Kohesionsteils" des Urban Programms mit kargen Mitteln umgebaut war zur Kleinbetrieben- und Ateliers-Behäusung.
Die kleine, begeisterte Gruppe die am Grossprojekt angehängt war (und zugleich abgehängt) und die als Aufgabe hatte, um im dorfhaften Arbeiterviertel Gröpelingen eine Erwachung aus der Lethargie der Dauerarbeitslosigkeit hervorzuzaubern, hatte, mit Hilfe eines Grosswohnungsbauvereins, etwas geschaffen, das aus dem Dorfe ein Kulturpark machte. "Kultur Vor Ort" lässt verborgene Brunnen von Schaffungskraft und versteckte Fähigkeiten der deutschstämmigen und der türkischstämmigen Bevölkerung üppig fliessen.

Aber es ist, im Vergleich zu dasjenige was möglich gewesen wäre mit den Euromillionen, und auch als "Kohesion" (dauerhafte gegenseitige Anregung der Projektelementen zur Weiterentwicklung - ich bedenke diese Definition hier und heute, aber sie scheint mir richtig), viel zu schwach, beinahe nichtig.

Hauptfehler ist, dass die Kohesion nicht im Perspektive der Wieder- und Weiter-Entwicklung der Bewohner und der Arbeitnehmer, sowie der Ökonomie der Nachbarschaften (Gröpelingen, Waller, usw.) gesehen worden ist, aber nur als Anhängsel des Grossparktraumes.

Wäre das "Center" mit seinen kommerziellen Grossflächen wirklich instandgesetzt geworden, dann hätte das Kleinladenbestand Gröpelingens seinen letzten Überlebenschancen verpasst.
Ebesowenig, war eine Anregung zur Anwerbung der Dauerarbeitslosen Gröpelingens im Center vorgesehen. Reparatur dieser Situation ergab sich als unmöglich.

Einsam hebt sich der Kopf der Ariane Rakete über das leere Space Park Center. Sie wird nie zum Himmel steigen.
Hundert Meter weiter erhebt sich das Minarett des neuen türkischen Grossmoschees. Himmelfahrt ist dort nicht vorgesehen. Hier sind keine Euromillionen aber (vermutlich) Saudimillionen in einen relativ übergrosses Bauprojekt geflossen.

Ein ironischer Bildreim von verfehlter Kohesion.

Frei nach Heinrich Heine:
"...Die Chinesen haben die Industrie, das Meer gehört den Briten,
aber im Traumreich des Parks, herrscht der Deutsche unbestritten."


PC070036.JPGIch habe trotzdem etwas Positives, ein winziges Prinzip Hoffnung gefunden.
Nur Träumer können einen so riesigen Beitrag zum zukünftigen Urban Blunderbook leisten.
Es handelt sich hier um einem Monumentalen Fall von "worst practices", das uns so vieles lehren kann. Vielleicht mehr als the best of the best practices.

Ha, ich bin wieder froh, dank der Deutschen. Ich hole mir einen "Space Cut" bei dem gröpelinger Friseur. Der einzige Laden in ganz Gröpelingen bei dem ich eine Hoffnung auf Kohesion mit dem Space Center beobachtet habe ...

Mehr Photos (mit Kommentar) von meiner verregneten Wallfahrt sind im "eurban"-Bereich bei "Flickr" zu sehen.
Photos aus dem Jahre 2005 sind in der e-urban Gallery "Bremen 2005 - Gröpelingen, Oktober".

Article originally appeared on e-urban (http://e-urban.squarespace.com/).
See website for complete article licensing information.

27 November, 2006

Warum ist heute das Prekariat 'abgehängt'?

In Deutschland gibt es zur Zeit auch eine Armutsdebatte. Im e-urban - Journal ging ich darauf ein, aus der Sicht der Stadtviertel - Revitalisationspolitik. Hier folgt ein Teil meines Textes. (Hier drücken, um das Ganze zu lesen.)

Ich stellte die Frage:

Warum werden heute sozial ausgegrenzte Menschen als "Prekariat" abgehängt?

  1. Weil die Massen von Industrie-Arbeitern die ab Ende des XIX. Jahrhunderts zu den Städten gezogen wurden, auf technologischen und ökonomischen Gründen heute nicht mehr gebraucht werden.
  2. Weil die Kollektivdiensten (Bezahlbare Mietwohnungen, Unterricht, Krankenversicherung, Arbeitslosengeld) zur Zeit eingeführt worden sind, um die aufgezwungen Nachbarschaft der armen Massen hygienisch und sicherheitshalber, tragbar zu machen.
  3. Weil dergleiche urbane Nachbarschaft jetzt nicht mehr nötig ist, gibt es eine ideologische Rechtfertigung der Abhängung (erst der Immigranten, später der andern) die sich stützt auf ein theoretisches Marktdenken: "Gib dem Konsüment Wahlfreiheit durch Privatisierung von allerhand Dienstleistungen." Diese Freiheit aber, gibt es nur für denen die etwas zu wählen HABEN. Die Freiheit der Reicheren, ist das Gefängniss der Armen.
  4. Somit ist jetzt Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit mehr und mehr Schuld des Prekariats selbst. Neokonservative haben diese Gedanke erst entwickelt, aber man kann sie auch zurückfinden bei Steingarth (Spiegel-Redakteur) in seinem letzten Buch.
Die aktuelle deutsche Diskussion befasst sich meistens mit der Frage, ob die Menschen in prekären Verhältnissen ja oder nein die Sozialleistungen "missbrauchen".

Die sprachlich kompetente Welt (wo es kaum Prekäre gibt) die dort zu Wort kommt, sucht Lösungen (oder beschränkt sich zu Klagen) über der a-soziale, unsolidarischen, Haltung der Ausgegrenzten selbst.

Es ist die umgekehrte Welt:
Nicht die Abgehängten werden als Opfer gesehen, sondern diejenigen die, dank der kollektiv finanzierter Abhängung, in ungefähr bequemen Verhältnissen leben können!
Dies ist genau die Umkehrung des Klassenkampfs*), wie Neokonservative sie gerne sehen: Die Mittelschicht gegen die Unterklasse, statt wie bisher, das Proletariat*) gegen die Besitzer.

Nicht die immer reichere Überklasse ist Schuld (die skandalöse Selbstbereicherung einer dünnen Schicht von Kapitalbesitzer und Aufsichtsratsmitglieder wird seit den achtziger Jahren immer wieder statistisch festgestellt), sondern die Abgehängten drüben.

Nicht die Vermarktung, nicht die Hedgefunds, nicht das zu grosse Anteil der Luxusinvestitionen und der unproduktiven Investitionen in Immobilien, sind Schuld an die ungelenkte Migration von Arbeitskraft, sondern die Leute die nicht mitmigrieren könnten!

- Aber der Sozialkapitalismus hat nicht definitiv ausgedient. Es gibt neue Wege um sich aus der Abhängung zu befreien. Ohne Revolution machen zu müssen.
Un das geht sehr wohl innerhalb der heutigen europäischen ökonomischen, technologischen und sozialen Verhältnissen.

Wie denn? - Dazu brauchen wir uns zu befassen mit den konkreten Lebensverhältnissen des Prekariats.

  • Erstens: Es ist urban. Es lebt in bestimmten "abgehängten" Stadtvierteln, im alten Zentrum oder in Grossbäuten (Plattenbäuten) am Stadtrand. Man ist einander physisch nah. Das ergibt Möglichkeiten zur Aufhebung der gegenseitingen Verfremdung, Abgrenzung und Verfeindung zwischen Individuen, Gruppen, Generationen, (Rest-)Kulturen und Ethnien.
  • Zweitens: Die Meisten dieser Menschen besitzen eine Reihe von unbenutzten Fähigkeiten und Kenntnissen.
  • Drittens: Durch einer wohlgelenkten kollektiven Aufbietung kann das ökonomische, soziale und kulturelle Potential mobilisiert und vermarktet werden durch innovativen Produktions- und Dienst-Leistungen.

- Spricht hier ein alter Idealist der in den Sechziger Jahren steckengebieben ist?

- Kaum:
Es gibt eine Methodik zum stadtviertelbedingten Emanzipationsprozess, die ich kenne aus meiner Berufspraxis, und die, unter Umständen, eine fast wunderbare Revitalisation der Bevölkerungsgruppen in der abgehängten Stadtvierteln leisten kann. Es ist ein Mund voller Bürokratenwörter, aber es gibt ja keine andere Umschreibung: "Partizipative, stadtteilbezogene, integrierte Regenerationsprojekte."
Hauptsache dabei ist das "Empowerment" von Gruppen und von Einzelnen, durch eine Kombination von ökonomischen, sozialen, Unterrichts- und (ja, auch:) kulturellen Massnahmen. Dabei könnte es geschehen, dass die Frau Hundebemahlerin**) nach wenigen Jahren sich umgewandelt hat in eine kompetenten, selbstbewussten Bürgerin...

Stadtbezogen

Bundesgenossen dabei sind die städtische Verwaltungen, die, besser als die Unternehmen im produktiven oder dienstleistenden Bereich, und besser auch als die Nationalverwaltungen, verstehen, welchen Risiken drohen für eine Implosion der ökonomie, der Sicherheit, des Unterrichts, der Kultur, usw. Viele europäische Städte gehen auf dieser Weise, mittels Projekt-Teams, in den Vierteln vor. Die Vorgehensweise dabei soll "holistisch", allen Lebensbereichen umfassend, sein, um sodann, nach Analyse der Problemen und der Möglichkeiten, und nach Abstimmung met Bürgeren und andern Partnern, ein mehrjähriges Prozess anzugreifen.

Über diese Vorgehensweise besteht noch viel Verwirrung und Unkenntniss. Obwohl die Städte in den letzten Jahren in diesem bereich vielseitigen Unterstützung aus Europa bekommen haben, sind sie meistens ungenügend ausgestattet (Geld, Kenntniss, Personal, wechselnde politischen Mehrheiten, nationale Prioritätenwechsel...) um dergleichen mehrjährigen Interventionen mit dauerhaftem Erfolg zu Ende zu bringen.

E-Urban ist geschaffen worden, um diese Betrachtungsweise der Problematik (aber auch der wirksamen Lösungsmöglichkeiten!) zu fördern vom Gesichtspunkt der europäischen städtischen Projektteams heraus.

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Anmerkungen:

*) "Klassenkampf", "Proletariat": Unwörter einer abgeschlossenen Epoche? - Wir sind es nicht gewesen, die sie neubelebt haben.
Amerikanische Neokonservative stacheln seit den siebzigern Jahren zu diesem "umgekehrten" Klassenkampf an, indem sie die Mittelschichten (mit Einbegriff des vormaligen 'Proletariats') warnen gegen die angeblich parasitären Bestrebungen der drogensüchtigen, allein stehenden Mütter und ihrer kriminellen Partnern. Klassenkampf, getarnt wie Disziplin- und Kulturkampf.

**) Die "Hundenbemahlerin" wurde vorgeführt in einer Bericht (22. November) im deutschen Fernsehen. Eine arbeitslose Frau, Vierzigerin, versucht vergebens den Weg zurück am Arbeitsplatz zu finden durch einem prekären Job. Sie bemahlt hölzernen Hundefiguren in Heimarbeit.

[Bilder: 1. Stuttgart, 2006 (Spiegel); 2. Clichy bei Paris, Dezember 2005 (Le Monde); 3. "Julie, Den Haag", bekrönte Reihe von europäischen Frauenporträts von Rineke Dijkstra (c)]

18 November, 2006

Niederlände in Folterskandal: Bundeswehr wird nach Südafghanistan gedrängt

Eines hängt mit Anderes zusammen.

Der Spiegel, heute:
Tricks, Vorwürfe, Appelle: Bundeswehr wird nach Südafghanistan gedrängt

Berlin beharrt auf seiner Position - und reizt die Verbündeten: Die Bundesregierung will keine Soldaten nach Süd-Afghanistan schicken. Doch ein hochrangiger Beamter des US-Verteidigungsministeriums fordert: Auch die Deutschen müssen ins Taliban-Gebiet."

Im Süden toben heftige Kämpfe mit Taliban-Rebellen. Weil sich Deutschland aber mit der Bundeswehr auf den - relativ - sicheren Norden konzentriert, steht Berlin seit Wochen bei Amerikanern, Briten und Kanadiern in der Kritik.

So beklagt nun ein nicht genannter, hoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" Mandatsbeschränkungen für viele Armeen in dem Land. "Wir hassen solche Vorbehalte. Sie vertragen sich nicht mit einem solidarischen Verhalten", wird der US-Beamte zitiert. Die Bundesregierung müsse einen Schritt weiter gehen. Es sei nicht hinnehmbar, dass ein Land sich grundsätzlich gegen die Verlegung seiner Einheiten in bestimmte Landesteile sperre, sagte der Beamte. "Der Befehlshaber in Afghanistan muss die Deutschen morgens anrufen können und ein Bataillon für den Einsatz im Süden anfordern. Das muss dann abends dort sein."
Die Niederländer, die laut CNN "hoch über ihren Kräften" reichen um den Amerikanern im Süden Afghanistans ein Gefallen zu tun, sind in grossen Problemen geraten, seit Freitag bekannt wurde, dass holländische Militärgeheimdienstler 2003 in Irak (schon) Folter verübten auf irakischen Häftlingen.

Im vorgehenden Artikel, haben wir klargemacht, dass diese Praktiken höchstwahrscheinlich ab 2004 von der niederländischen MIVD unter amerikanischen Führung weitergetrieben worden sind im Osten und Süden Afghanistans. Der heutige holländische Oberbefehlshaber General Berlijn hat vorige Woche in einer brüsseler NATO-Sitzung scharfe Kitik geübt auf der US-inspirierte Vorgehensweise der NATO-Truppen in Helmand, Kandahar, usw. Er hat sich dabei ähnlichen Kritiken zugezogen als die Deutschen, seitens der Amerikanern, der Engländern und der Kanadiern.
Niederländischer MP Balkendende begegnet seine 1.200 Soldaten in Uruzgan, Afghanistan (Juli 2006). Sind es klammheimliche Söldner der Amerikaner für die schmutzige Arbeit?

Mir ist klar, dass die holländische Militärs, im Gegensatz zu ihrer politischen Vorgesetzten, genug haben vom US-Terror ("Embedded" amerikanische Offiziere bei holländischen Kommando-Einheiten in Afghanistan stacheln zu Kriegsverbrechen an), und das sie, wahrscheinlich, absichtlich das Skandal von Gestern (Folter in Irak) bekanntgemacht haben. Dies wird, früher oder später, zum Abzug der Niederländern aus der südafghanischen Provinz Uruzgan führen. Deshalb wird noch mehr Druck ausgeübt auf den Deutschen, um die Platz der Holländer einzunehmen.

Aber, laut Spiegel-Bericht, bleibt die deutsche Regierung abweisend, und:

Auch eine Mehrheit der Deutschen ist gegen einen Bundeswehreinsatz im Süden Afghanistans. 82 Prozent seien dagegen, dass sich die Bundeswehr an Kampfeinsätzen im Süden des Landes beteilige, wie eine Umfrage von TNS Infratest im Auftrag des SPIEGEL ergab. Nur 17 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus.

In Berlin wird auf die Kritik am deutschen Beitrag zunehmend gereizt reagiert. Erst am Freitag hatte ein Sprecher von Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) in der Bundespressekonferenz erklärt, Deutschland müsse sich in Sachen Afghanistan-Engagement nichts vorhalten lassen. Der Sprecher forderte auch dazu auf, die "aufgeheizte Debatte" zu versachlichen.

Eine Hoffnung, die sich angesichts der andauernden Kritik, die öffentlich und auch in anonymer Form über den Atlantik hinüberweht, offenbar so bald nicht erfüllen wird.

Aber doch. Mit den demokratischen Mehrheiten in Kammer und Senat wird es aus sein mit den terroristischen und erniedrigenden Praktiken der westlichen Interventionen in Afghanistan und in Irak. Dann könnte eine andere, zivilisiertere und intelligentere Strategie ausgearbeitet werden, wie sie Karzai und seine Regierung seit langem wünscht. Eine Strategie, die auch Europa unterschreiben könnte, und worin Deutsche, sowie als Holländer, ihren Platz einnehmen könnten.

Jedenfalls, wird die aktuelle Position der Deutschen es der holländischen Regierung unmöglich machen, dem Publikum weiszumachen dass es zu ihrem Standpunkt in Sachen Afghanistan keine Alternative gäbe ...

Folterskandal in Holland: Von Irak zu Afghanistan?

Kleines land - Grosses Skandal: Heute morgen enthüllte die Morgenzeitung "De Volkskrant" in Amsterdam, dass holländische Militärabwehrleute November 2003 in Irak systematisch Gefängene gefoltert haben.
In einem Gebäude der Vorläufigen Koalitionsregierung (die zivile besatzungsmacht unter amerikanisch-britische Führung) in As-Samawa, Hauptort der Provinz Al-Muthanna die anderthalb Jahre lang von einem niederlandischen Militärkontingent "pazifiziert" wurde, wurden irakische Häftlinge mit Ski-Brillen, überlaute Musik und Wasser "sensorisch depriviert" und vorbereitet auf Verhören von britischen Militärs.
Diese Methoden wurden damals vom Guantanamo-Chef in Irak eingeführt (mit den bekannten Effekten im Abu Greib Gefängniss, die auch in November 2003 stattfunden).

Die holländische Militärpolizei (Marechaussée) legte Beschwerde ein, und veranstaltete eine Untersuchung zur Vorbereitung einer Anklage beim Militärgerichtshof in Arnheim. Der Marechaussée wurde aber vom Oberbefehlshaber Admiral Kroon untersagt, ihr Rapport am Gerichtshof weiterzuleiten. Dieser Vorgang wird im Wesentlichen vom damaligen Marechaussée-Kommandant und vom damaligen Oberbefehlshaber bestätigt.

Der konservativ-liberale Verteidigungsminister Henk Kamp der damals, und auch jetzt noch, im Amt war, bestätigt dass die Vorgänge in As-Samawa ihm gemeldet wurden. Er hätte eine Untersuchung der marechaussée angeordnet, aber sollte nachher nicht mehr davon gehört haben, was, so sagt er heute Nachmittag, "normal" sei bei einer Strafvermittlung.

Aber es het gar keine Strafvermittlung gegeben! Die Vermittlung von der Militärpolizei war nur eine Einleitung zu einer gefälligen Strafvermittling durch die Militär-Staatsanwaltschaft. Der Minister hat versäumt um die Ergebnisse der von ihm selbst angeordnete Untersuchung zur Kenntniss zu nehmen. Oder das höchste Militär hat sie unterschlagen.

In der nationalen Politik is diese Enthüllung um so brisanter, weil nächste Mittwoch (22. November) eine Parlamentswahl stattfindet. Die linke Parteien (Opposition) haben für Montag eine Sondersitzung des Parlaments angefragt. Die (Minderheits-)Regierung unter den Christdemokrat Balkenende hat immer behauptet, dass ihre Unterstützung der amerikanisch-britischen Interventionen in Irak und in Afghanistan nur "politisch", nicht militär sei. Die Irak-Mission (2003/2004) sei bloss eine "Stabilisations-Operation" gewesen unter einem UNO-Mandat, während die holländische Afghanistan-Mission ab 2006 in der Provinz Uruzgan eine "Aufbau" Aktion genannt wird, die unter NATO-Flagge stattfindet.

In Wirklichkeit aber, hat die Balkenende-Regierung sich in Irak als klammheimliches Mitglied der Koalition der "Wollenden" benommen, und, wie heute klargestellt wurde, sich völlig den Amerikanern untergeordnet. Die holländische Kommando-Unterstützung der amerikanischen Operation "Enduring Freedom" ab 2004, ist ebenso gestaltet worden. Die Holländer waren (und sind noch, eben nach der Kommando-übernahme von der NATO) vollständig unter Amerikanischen Führung und waren aktiv in die Terror-Aktionen gegen der Bevölkerung die zu die heutige Krise geführt haben. Skandale wie der Scheitel-Fussball Spiele der deutschen KSK-Truppen die in derselben Position waren, sind noch nicht offenbart worden, aber können mit Sicherheit entgegengesehen worden.

Das holländische Parlament ihat Anfang 2006 nur einstimmen wollen mit einer friedlichen Aufbau-Mission ihrer 1.200 Truppen in Uruzgan. Obwohl es damals schon klar war, dass es sich um ein kaum befriedetes Gebiet handelte, hatte eine Mehrheit nicht die Versicherungen des gegenteils der Amerikaner, der Afghaner, der NATO (mit holländischem Generalsekretär) und der eigenen Regierung, nicht zu bezweifeln gewagt.

Aber heute ist das gefährliche und hypokrite Doppelspiel der Balkenende-Regierung klar an der öffentlichkeit getreten. Hypokrit, weil an der Bevölkerung ein Bild gemahlt wurde von holländischen braven Pfadfinder, die mit Freundlichkeit und kleinen Dienstleistungen die ewige dankbarkeit der Eingeborenen erwerben, - während in Wirklichkeit den Amerikanern willigen Kriegsverbrecher geliefert wurden, die, einmal -zurûck ins Land, eine zynische Soldateska bilden werden, die das Land destabilisieren könnte.

Das angeheizte Wahlklima im Lande, wird es kaum ermöglichen, um schnell die nötige Massnahmen zu ergreifen. Die Regierung verbirgt sich hinter eine Untersuchungskommission. Die Oppositionsparteien werden der Gefährdung des Militärs in voller Aktion beschuldigt werden.

Jedoch ist es heute sonnenklar, dass die Militärgeheimdienst MIVD unbestraft verbotenen Folterpraktiken ausgeübt hat in Irak, und höchstwahrscheinlich diesen Praxis weitergeführt hat in Afghanistan. Damit hatten die Niederlände ganz Europa gefährdet, denn durch Jahrenlange Terror und Erniedrigung sind Generationen von Rachesüchtigen Menschen geschaffen worden.

Eine unmittelbare Zurückziehung der Folterbrigaden wäre notwendig. Leider wird vermütlich die einheimische Opposition, obwohl eine parlamentarische mehrheit, dazu nicht im Stande sein. Die andere europäische Länder, wie Italien, Spanien und Polen, die sich aus der Rolle von "Willenden" schon zurückgezogen haben, sollten, im eigenen Interesse, an der holländischen klammheimlichen Alleingang, ein Ende stellen.

Aktualisierung: Um 16 Uhr hat der holländische Verteidigungsminister Kamp eine Presseerklärung erlassen, worin er sagt, dass
  • die Ausstattung von Häftlingen mit Ski-Brillen nötig war, um die Anonymität ihrer Verhörer zu gewährleisten,
  • die laute Musik gedient hat, um Verbalkommunikation zwischen Häftlingen zu unterbinden, und
  • das drohen mit Wasser (Ertrinkung) an sich keine strafwürdige Tat darstelle.
Mitdem hat er anerkannt, das Rapport der Militärpolizei zur Kenntniss genommen zu haben, aber ihre Schlussfolgerung, dass Anzeige beim Militärgericht zu stellen wäre, nicht zu unterschreiben.
Noch schwieriger zu verkraften ist, dass er leugnet, dass genannte Methoden völlig übereinstimmen mit den von der genever Vertäge untersagten Behandlungsweisen von Kriegshäftlingen: sensorische Deprivierung (Augen, Ohren) und "Waterboarding" (drohen mit Ertrinkung).

Man fragt sich, wenn die Miltärs sich verstecken mussten vor den Häftlingen (warum eigentlich?), ob sie nicht besser selbst mit grossen Brillen ausgestattet gewesen wären. Und woher, fragt man sich, kamen im Wüstensand diese Ski-Brillen? übrigens, wer selbst mal geskiet hat, weiss, dass ein Skibrillenträger sehr gut seine Umgebung wahrnehmen kann, während die andere Anwesenden ihn schwierig erkennen werden.
Die Brillen dient denn auch, wie ein holländischer akademische Folterexperte aussagte, um die Augen der Häftlingen erst am Dunkel zu gewohnen, um sie nachher an helles Licht auszusetzen - eine bekannte sensorische Foltertechnik.

Glauben Herren Kamp und Balkenende wirklich, dass das Publikum an ihrem Klatsch glauben wird?

28 Oktober, 2006

UMTS Roaming: Besser mit Vodafone?

Der Spiegel, unangenehm überrascht von den astronomisch hohen Kosten des UMTS-Roamings eines seiner Korrespondenten während der Tour de France im Sommer, spannte sich ein, um ein europäisches Skandal anzuprangern. Wir berichteten darüber am 25. September 2006, hier, in "UMTS-Roaming: Nur für Millionäre?".
Inzwischen haben Hunderte von Spiegel-Lesern ihren Beifall angezeigt. Mitdem gibt es, wie wir verhofften, eine feste, aber fast unnatürliche, Allianz des In-Europa-Zuhause Autors mit Freihandels- und Freimarkt-Fans.

Warum verfolgen wir das Europa-Roaming mit Handy und UMTS so genau? - Weil es sich dabei ein handfeste Kriteria ergibt betreffs:

1. Konsümentenschutz durch Marktlöckerung,
2. inwiefern die EU-Kommission unabhängig ist von de Grossbetrieben, und
3. inwieweit die Konsümenten sich durchsetzen können gegen Grossbetrieben die Media und Markt beherrschen.

  • Re 1.: Es ist sonnenklar, dass die UMTS- (und Roaming-) Anbieter nicht eine Marktlöckerung anstreben, aber dass sie festhalten an einer nationalbedingt-kompartementalisierten, also rückständigen, Marktordnung, die es ihnen ermöglicht, die Konsümenten zu zwingen, sich bei einem nationalen Anbieter einzuschreiben, die ihnen (anerkannt) viel zu hohen Tarife anrechnet bei Verwendung der Netzen ausländischer Anbietern. Eben, wenn es sich handelt um einen ausländischen Partner, der im selben multinationalen Netzwerk ist als der eigene Lieferant. Die Streit die die Handy- und UMTS-Betriebe jetzt ankürbeln gegen die Europakommission (die Maximum-Tarife erzwingen will), ist eine konservative Aktion, nur geeignet, um sich die Vorteile einer unzulänglichen, weil bürokratisch kompartimentalisierten, Markt so lange wie möglich zu sichern.
  • Re 2.: Die Massnahme der Kommission, obwohl schon angekündigt, bedarf der Zustimmung der Regierungen der Mitgliedstaaten im Europarat. Mehrere Regierungen fürchten Nachteile für ihren nationalen Telekom-Betrieben, die nicht mit andern Betrieben in andern Mitgliedstaaten vernetzt sind. Sie möchten ihren nationalen Konzerne beschützen. Die Medien-Aktivität von Grossbetrieben wie Vodafone ist jetzt darauf gerichtet, diese Vorurteile zu verstärken und durchzusetzen. In At Home in Europe berichteten wir über so einer Intervention seitens Vodafone im Financial Times (24. September 2006).
  • Re 3.: Die Europäische Union wird fortdauernd von Euroskeptikern angegriffen. Hier gibt es eine Sache, die vielen Europäern anbelangt. Sich durchzusetzen, heisst für die Europakommission, aufkommen für eine richtige Marktfreiheit (wie im Falle der Banken, die Tarife zu handhaben gemöcht hätten, in 2002, bei Wechsel von Euro in Euro bei internationalen Überweisungen innerhalb der Eurozone!). Ebenfalls, würde eine konsequente Tarifstellung für Handy-Roaming und UMTS-Roaming nur logisch und ökonomisch (Lissabon!) effizient sein. Wenn es nicht gelingen sollte, hier normale Tarife einzuführen und eine gesunde internationale Konkurrenz anzustacheln, woanders würde es dann gelingen? Es ist die Mutter aller Testcases!
Und hierunter zeigen wir, was Der Spiegel.com (Archiv, €€) zu melden hat:
UMTS-AUSLANDSKOSTEN
Vodafone will's billiger machen

Das mobile Datennetz UMTS ist nur höchst eingeschränkt europatauglich - wer nicht aufpasst, hat nach einem Auslandsaufenthalt schnell einige Tausend Euro ersurft, egal bei welchem Anbieter. Vodafone will nun mit einem neuen Tarif für Transparenz sorgen.

Als SPIEGEL ONLINE vor einigen Wochen über die horrenden Summen berichtete, die UMTS-Nutzung im Ausland schnell kosten kann, war die Empörung groß. An die Hundert Leser schickten eigene UMTS-Rechnungen und Berichte über eigene bittere Erfahrungen mit den Mobilnetz-Kostenfallen an Europas Grenzen ein. Vodafone, in Deutschland Marktführer im Bereich UMTS, hat soeben einen neuen Tarif angekündigt, der das Reisen mit dem mobilen Netz finanziell sicherer machen soll. Der sogenannte "WebSessions Tarif" soll ohne monatlichen Basispreis auskommen, auch im Ausland Kostentransparenz garantieren und die Nutzung soll auch ohne Vodafone-Vertrag möglich sein. Dazu soll beitragen, dass es mit der neuen Methode nur möglich ist, sich in ein Vodafone-Partnernetz einzubuchen - denn die größten Kosten entstehen, wenn der ausländische Anbieter keinen Roaming-Vertrag mit dem hiesigen Netzbetreiber abgeschlossen hat.
Schon gut. Aber diese "Transparenz" gibt es schon. Meine belgische Vodafone-Filiale gibt klar und deutlich an, dass ich für jede Mio. Bytes € 14,- zu bezahlen habe... Spiegel.com führt fort:

Im Ausland sollen 15 Minuten 8,72 Euro kosten, 2 Stunden soll man für 15,54 Euro online bleiben können.Knapp dreißig Euro für einen Tag online seinVolle 24 Stunden kosten 28,22 Euro. Während des gebuchten Zeitraums sollen dann alle Verbindungen ohne weitere Zusatzkosten möglich sein. Die gleiche Option für gelegentliche Nutzug gilt auch im Inland - zu niedrigeren Preisen. 24 Stunden sollen im Inland etwa 17,49 Euro kosten.Die Auslandsoption gilt zunächst in 14 Ländern Europas, darunter Frankreich, Italien und Großbritannien. Westeuropa ist bis auf die Kleinstaaten weitgehend abgedeckt, weitere Länder sollen ab Januar 2007 folgen. Sensationell preisgünstig ist das neue Auslands-Angebot nicht, für den Dauereinsatz während eines längeren Auslandsaufenthaltes ist es immer noch zu teuer.
Das 24-Stundentarif gilt nur 24 Stunden. Wenn man länger im Ausland ist, und jeden Tag, z.B., seinen Mails empfängen möchte, aber nicht mehr als eine Stunde täglich am Klavier verbringen will, hat es keinen Sinn. Übrigens werden noch immer die Konsümenten der "Kleinstaaten" (Belgien, Niederlände, Dänemark, usw.) diskriminiert. Und es sind diejenige, die am Meisten eine bezahlbare Auslandszugang zu de Handy- und UMTS-Netzen benötigen, weil so Vieles sich für denen ausserhalb des nationalen Grundgebietes abspielt... Spiegel.com sagt:

An die preisliche Attraktivität des - allerdings zeitlich begrenzten - Angebotes eines italienischen Anbieters reicht das Angebot allerdings nicht heran. Vodafones Konkurrenten, deren Kunden bei Auslandsreisen mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, planen im Augenblick keine konkreten Tarifänderungen.
Ein E-Plus-Sprecher teilte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mit: "Wir versuchen immer, Tarife günstiger und für den Kunden attraktiver zu machen. Konkrete Schritte kann ich aber im Augenblick nicht ankündigen." Bei O2 heißt es: "Wir evaluieren derzeit verschiedene Tarifmodelle." Man könne sich vorstellen, im nächsten Jahr ein überarbeitetes Angebot auf den Markt zu bringen. Eine Stellungnahme von T-Mobile, dem vierten Marktteilnehmer im Bereich Mobilfunk, steht noch aus.
Es "steht noch aus". Man möchte sich nicht in die reale Diskussion hineinreissen lassen.

Vorläufig, ist die einzige Debatte die die Telekom-Anbieter Europas führen möchten, die irreführende Diskussion über die Europakommission-Massnahme. Demagogische Argumente über "Bürokratisierung" sollten erst ihre Wirkung haben.
Ich setze darauf, dass die unabhängige Blogger Europas (die selbst zu den grössten Opfern der Parasitären Tarifpolitik der Telekoms zählen), unaufhörlich die falschen Standpunkte der Telekom-Anbieter angreifen werden, dadurch eine Diskussion in den Mainstream-Medien auslösen (wie im Spiegel, jetzt) und die Parlamentarier dazu bringen, ihren Regierungen zur Unterstützung der Europakommission zu veranlassen.
Es ist nicht unschwierig, aber es könnte gehen!

28 September, 2006

Die grosse Toleranz der Preussen

CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble gestern in seiner Regierungserklärung:
Deshalb habe ich gestern mit der Deutschen Islamkonferenz in der Orangerie im Schloss Charlottenburg den ersten institutionalisierten Dialog zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschland lebenden Muslimen eröffnet. Das Schloss Charlottenburg - auch das darf man sagen -, Ende des 17. Jahrhunderts erbaut, erinnert an die große Toleranz der preußischen Dynastie

(Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): Und der Bürger!)
ja, der Bürger, aber auch der Dynastie - und war ein guter Ort, um diesen Dialog zu eröffnen.
Na ja, ich habe nichts dagegen, wenn man die Wille zur Toleranz feiert mit Verbindungen zur Geschichte. Friedrich der Grosse, denn es ist dieser Preussenkönig um wen es sich hier handelt, empfing Tausenden Huguenoten, Protestanten die aus Frankreich vertrieben waren von Ludwig XIV. Zeitweilig, hat er eben den "Antichrist" Voltaire am Hofe in Berlin Unterkunft geboten.
Aber Leute "vertragen" (tolerieren) ist etwas anderes als die Macht, das Raum, und die Kultur mit ihnen teilen.
Leute tolerieren, nur wenn (und solange) es dich gut auskommt, wie es geschah mit den Huguenoten, die nach das kleine, agrarische Berlin, Handelskontakte und Kulturelles Leben mitbrachten und die vermutlich ein willkommenes gegengewicht stellten gegen den Bestrebungen des ländlichen Adels und der Juden - das kam nicht aus einem humanistischen Toleranzprinzip hervor, aber nur aus Machtspolitik. Es gab im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts Raum in Überfluss in und rund Berlin, nicht im geringsten weil grosse Teile der ursprünglichen Bevölkerung durch Intoleranz vertrieben worden waren.
Im Moment, als Voltaire anfing politischen und moralen Einfluss auszuüben in Berlin, war Friedrichs Toleranz vorbei. Voltaire musste schleunigst nach die Schweiz zurück.

Tolerieren ohne teilen, ist eine Tradition, worauf alle Intoleranzen sich rühmen können.

Die im Orangerie anwesenden Türken können sich rühmen auf die Tausenden sephardischen Juden (aus Spanien vertrieben) die sie nach 1492 "toleriert" haben, aber nur wenn sie sich in griechischen oder bulgarischen Teilen des ottomanischen Reiches ansiedelten.

Nein, die Wahl der Orangerie als Versammlungsort, macht die deutsche Kultur nicht zum Leitkultur in Toleranz. Wäre Weimar, auf der West-östlichen Diwan, nicht besser gewesen?

(Zitat Schäuble kommt aus dem Text, veröffentlicht von BigBerta, in ihrem blog, 28. September 2006)

25 September, 2006

UMTS-Roaming: Nur für Millionäre?

Foto Spiegel: "UMTS-Karte: 14 Euro pro Megabyte?" Übrigens ist Vodafone die einzige die bewegt...

Seit Monaten verfolge ich in meinen Euroblogs die Geschichte des "Roamings".

Roaming gibt es, wenn Du im Ausland dein Handy einschaltst und über ein ausländisches Netz anrufst, oder angerufen wirst. (Oder SMS sendst und empfängst.)

Die Gebühren die für Roaming angerechnet werden, sind ausserordentlich hoch. Technisch, gibt es dafür keinen Grund. Die Übertragung von Signalen ist völlig automatisiert, auch zwischen des nationalen Netzwerken.

Ich bin auf diese Sache gefasst, weil:

  1. ich täglich unter diese Wahnsinn leide, weil ich, von einem kleinen Lande aus, in einem grossen Teil Europas beruflich arbeite, also, wenn ich nur 100 oder 150 Km vom Hause bin, schon diese extra Gebühren zahlen muss;
  2. es ein schönes Beispiel ist von der Ohnmacht des "freien" Marktwirkens, um allgemeine Dienste zu besorgen, ohne einer strikten (und kostspieligen) Reglementierung;
  3. es eine Chance bietet für die Europäische Union (Kommission), um ein konkretes, und für jeden Eurobürger fühlbares Unterschied zu machen.
Bigberta hat in ihrem Blog meine englischen Ausführungen in "At Home in Europe" zu diesem Thema, schon ins Deutsche übersetzt. Siehe: "380 Millionen europäische Handybesitzer werden bestohlen..."(14. Juli 2006).

Auf europäischen Ebene wird jetzt vorgeschlagen, ein europaweites Maximum-Tarif festzulegen für Roaming. Die "Provider (Netzwerkbetreiber)" Unternehmen wehren sich dagegen mit allen Mitteln, denn die höhe Roaminggebühren generieren etwa 25% ihrer Gewinnen. Bestimmte Regierungen unterstützen die (nationalen) Provider. Wenn wir nichts tun, wird in den brüsseler Hinterzimmern die europäische Reglementierung von denen abgeschossen werden.

In einflussreichen Zeitungen wie der Financial Times, ist einer wahren Guerrillakrieg im Gang gesetzt worden gegen diese geplanten europäischen Reglementierung.
22. September hat noch einer, von Vodafone bezahlten, "Experte" (Stephen Littlechild: "Brussels has got in wrong on roaming charges", [subscription required])
in den redaktionellen Kommentar-Spalten des FT zu beweisen gesucht, dass behördlich festgelegte Maximum-Tarife zu eine .... Erhöhung der Gebühren führen würde!! Thatcherianische Wahnsinn, die zeigt, dass dieses Gefecht hart sein wird.

Bei UMTS-Roaming sind die Gebühren noch viel extremer als beim normalen Handy-Verkehr. Das hat jetzt auch "Der Spiegel" bemerkt, wenn das Blatt 3.500,- Euro bezahlen musste für einen einzelnen Tag UMTS-Roaming von einem seiner Korrespondenten bei der Tour de France, diesen Sommer. Und so ist es geschehen, dass wir, Roaming-Konsümenten, plötzlich einen Verbündeten bekommen haben aus dem Lager der sonst so marktliebenden Presse.
Ein aktiver Verbündete, eben, denn der Spiegel ruft seinen Leser zur Protestaktion auf:
UMTS-RECHNUNGEN
Haben Sie auch schon den UMTS- Schock nach Urlaub oder Geschäftsreise erlebt? Was war Ihre extremste Telefonrechnung? Schreiben Sie uns eine E- Mail, an spon_zusendung@spiegel.de, Stichwort UMTS!
Wir unter stützen gerne und von ganzem Herzen diese antikapitalistische Protestbewegung! Schreibt alle emails an dem Spiegel!

In Europa gibt es praktisch nur drei grossen Unternehmen die UMTS anbieten können in mehreren Ländern: Vodafone (EN), Deutsche Telekom und Orange (FR). Vodafone hat, als Antwort auf der Aktion de Europakommission, seine Tarife etwas gemässigt, und angekündigt dass nächstes Jahr eine weitere Senkung vorgesehen sei. Aber Andere, wie z.B. O2, aus England, haben die Europakommission beim Gericht angeklagt um Zeit zu gewinnen.

Die Lage wird vom "Spiegel" gut gekennzeichnet:

14 Euro für ein Megabyte ungeschützten Verkehr

Während eine UMTS-Flatrate für Rechner oder Handy innerhalb Deutschlands etwa 40 bis 55 Euro pro Monat kostet, wird im Ausland ein Vielfaches solcher Summen fällig. Vor allem, wenn man nicht das Partner-Netz des eigenen Betreibers, sondern ein anderes erwischt, wird das Surfen noch einmal drastisch teurer: Solch ungeschützter UMTS-Verkehr kommt im Ausland schnell auf einen Preis von 14 bis 15 Euro pro Megabyte - egal, bei welchem Betreiber man in Deutschland seinen Vertrag hat.

Zur Orientierung: Wer einmal die Startseite von SPIEGEL ONLINE aufruft, hat damit schon knapp 500 Kilobyte verbraucht - oder eben vier bis sieben Euro, je nach Land, Anbieter und Tarif. Einmal täglich Nachrichten checken - ohne einen einzigen Artikel zu lesen - kostet im Urlaub für den unvorsichtigen UMTS-Anwender also in zwei Wochen locker mal 100 Euro. Wer viel surft, oder mit großen Dateien wie PDFs oder Videos arbeitet, kommt schnell auf noch viel horrendere Summen.


SPIEGEL ONLINE - 25. September 2006, 11:31
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/telefonkultur/0,1518,438098,00.html

unabhängige Experte stimmen überein:

"Wenn Sie mit größeren Datenmengen hantieren, sind sie im Ausland fast mit jedem Tarif übel dran", stellt Josefine Milosevic, Tarifexpertin bei der Zeitschrift "connect", fest. Brancheninsider, die lieber ungenannt bleiben möchten, werden noch deutlicher: Unter vier Augen werden freimütig Begriffe wie "Raubrittertum" und "Abzocke" benutzt.

Kein Wunder, dass die Benützung der technisch schon Jahrenlang bestehenden Möglichkeiten, stagniert. Die im Jahre 2000 in Lissabon von den EU-Staatsüberhaupten verkündete Sprung nach vorn, die Europa in 2010 mittels e-Kommunikation und Dot.Com zum ökonomischen Weltmeister machen sollte, leidet unter den Autodestruktionstrieb der Marktwirkungsaxiomen. Der Spiegel:

Mobile Datendienste werden von Privatkunden bislang kaum genutzt - im Jahr 2005 etwa machten solche Dienste beispielsweise gerade mal 2,7 Prozent des Gesamtumsatzes der vier großen deutschen Mobilfunkbetreiber aus, der Großteil entfällt auf Business-Anwender. Analysten prophezeien dem Business-Segment im Mobilmarkt eine Phase der Stagnation - der Markt ist weitgehend aufgeteilt, und zwar vor allem zwischen Vodafone und T-Mobile. E-Plus und O2 fallen mit jeweils unter zehn Prozent Marktanteil in diesem Bereich kaum ins Gewicht. Wachstum ist für die Kleinen nur möglich, indem sie den Großen Kunden abjagen. Und für die Großen nur, indem sie ihren Kunden zusätzliche Dienste für zusätzliches Geld verkaufen.

Es dürfte inzwischen doch bekannt sein, dass Monopolisten und Oligopolisten ihren Gewinne oft holen aus Verlangsamung der Anwendung von technischen Erneuerungen. Microsoft ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn es nicht möglich ist, die Markt aufzurüttelen mit neuen Spielern, soll die Reglementierungsbehörde eingreifen. Die Experte des Spiegel aber wundern sich über dieses Phänomen:

"Eigentlich sollte der Markt in diesem Bereich also besonders hart umkämpft sein - schließlich geht es um ein Wachstumsgebiet für die nächsten Jahre. "Bei Datendiensten ist man in der Branche immer etwas langsamer", sagt "connect"-Redakteurin Josefine Milosevic.

Wir wissen, warum.
Die Europakommission soll jetzt durchgreifen. Für den Konsüment. Aber auch gegen die technisch und ökonomisch schädliche Trainierung der Monopolisten.
Die Kommission wird das nicht tun können, ohne einer Aufschrei von uns, der Verbrauchern.

18 September, 2006

Nochmals: Die Quellen des Papstes

BigBerta, unermüdlich, schreibt schneller als Gott lesen kann.

Und, leider, sicherlich auch schneller als ein Sterblicher wie ich, übersetzen könnte.

Der Papst, unfehlbar seit dem XIX. Jahrhundert, aber nur wenn er "ex Cathedra" spricht, (was er nicht tat als er in Bayern philosophierte über die Mitteln der Verbreitung des Glaubens), hat sich entschüldigt vor dem allweltlichen Publikum. Er hat sich geirrt. Er hat es nicht so gemeint. Na ja: Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn es nicht diese teuflische Unfehlbarkeit gegeben hätte.

Und wenn es nicht die heutige Verrücktheit der Glaubensverhältnissen gegeben hätte.

Ein neues amerikanisches Buch, von Frank Rich, "The Greatest Story Ever Sold", über die Busshen Manipulationen nach "9/11", sagt es besser als ich es könnte: "Der Sicherheitsdiskurs der Regierungen dient nur um ihre Ohnmacht zu verhehlen". Mit andern Wörtern: Weil die Regierungen nichts vermögen gegen die Dauernde Erniedrigung der Bevölkerungsmassen, ja, weil sie eng verknüpft sind mit ihren Gönnern die dies verursachen, nützen sie jede mögliche, für sie ungefährliche, Gelegenheit aus, um die Frustrierung ihrer Untertanen in eine falsche Richtung zu lenken. Das ist was jetzt wieder vor sich geht.

Die Lappalie der päpstlichen Zitaten, wird hierunter noch einmal dargelegt von Bigberta in ihrem Blog (siehe rechts unten in der Seitenspalte):

Kaiser Manuel, (S) Phrantzes und sonstige merkwürdige Quellen

Moin, Ihr Lieben, ich habe den gestrigen Abend und den Umstand, daß ich momentan rücken technisch etwas Probleme mit dem Sitzen habe, noch etwas genutzt, mich mal über den Kaiser schlauzumachen. Dazu darf ich erwähnen, daß ich gestern noch "Metropolis" geschaut habe, über die letzten Jahre von Byzanz. Und was ich da gelernt habe, will ich Euch nicht vorenthalten, also:

Manuel regierte als vorletzter der Paläologen, als das byzantinische Reich nur noch eine Ansammlung verstreuter Marktflecken war. Konstantinopel war im fünften Kreuzzug durch die "Lateiner" zerstört und geplündert worden. Sogar die Löwen auf dem Markusplatz sind ein Teil der Kriegsbeute von damals. Die Paläologen agierten hin und her und haben sich sogar an Tamerlan angewanzt, um ihren Thron zu behalten und es gab Thronstreitigkeiten auf beiden Seiten und ein Heidendurcheinander. Sach' ich ma' so flott, um klarzustellen, worum es - wieder mal! - nicht ging: Christentum gegen Islam. Es ging um Allianzen, es ging um Verrat, bloß ging es nicht um: Christentum gegen Islam. Manuel ist sogar durch Europa gereist, um Verbündete zu finden. Hat er aber nicht, sieht man von König Sigismund von Ungarn ab. Dem Papst kann der Schutz Konstantinopels vor den Osmanen so wichtig nicht gewesen sein, denn er knüpfte ihn an die Wiedervereinigung der Kirchen unter dem Primat des Papstes.

Wie nun die Dialoge? Es handelt sich um die "26 Dialoge mit einem Perser", die angeblich stattgefunden hatte, als Manuel sich als "Ehrengeisel" im Feldlager des Sultans befand. In
dieser Quelle auf Seite 8 im 2. Absatz steht zu diesen Dialogen:

Apart from the Emperor's writings there is no independent proof that the conversations ever took place. They must represent a mixture of facts and fictions.

Was übersetzt heißt: Abgesehen von den Schriften des Kaisers gibt es keinen unabhängigen Beweis, daß diese Konversationen je stattgefunden haben. Sie repräsentieren einen Mix aus Fakten und Fiktionen. Womit wir beim Thema "Fakten und Fiktionen" wären, das solches für bare Münze nimmt, und eine letzte Woche verstorbene Schreibse mit solchen Einträgen würdigt.

Wer's lesen will: Sterne rausmachen.

Da seht Ihr dann auch den Haushistoriker von Kaiser Manuel, (S)Phrantzes zitiert. Dazu Wikipedia, steht aber auch in anderen Quellen:

Wie Ihr daraus ersehen könnt, gilt das, was Sphrantzes uns hinterlassen hat, aus dem Grund als fragwürdig, weil man nie sicher sein kann, was in späterer Zeit in politischer Absicht hinzugefügt worden ist.. In der oben zitierten Quelle über den Kaiser Manuel steht, daß es eine traditionell anti-islamische byzantinische Polemik gegeben habe.

In dem oben zitierten Islamhasser-blog wird dann die "Schedel'sche Weltchronik zitiert (als Beweis für das, was Oriana F. schreibt). Dazu: bei allem Gewedel mit Israelflaggen sind sich solche blogs nicht zu schade, auch Quellen heranzuziehen, die ganz klar antisemitische Kapitel enthalten, und eine Lüge zu zitieren:

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So kann, wie die zitierte Schedelsche Weltkronik schreibt, der letzte Byzantinerkaiser nicht enthauptet worden sein. siehe hier.

Was lernen wir daraus: Zitate und Quellen kritisch würdigen. Es sei denn, man ist "Islamkritiker".

16 September, 2006

Nur jene können antworten, die zuhören. Sure 19:3 – oder: die Aufregung um die Papst - Vorlesung

Bigberta schreibt dieses in ihrem Blog (siehe auch in der rechte Spalte hier) über die Aufregung wegen der papstlichen Mahnungen zur friedlichen Verbreitung des Evangeliums. (Und sie kann es wissen, als Köllnische, UND Muslemin...):

Da ich so langsam den Eindruck habe, dass sich schon wieder viele Leute über etwas aufregen, was sie überhaupt nicht, oder wenn, dann nur in Bruchstücken kennen, schlage ich dringend vor, die Rede überhaupt erst einmal als Ganzes zu lesen. Die aufgeregte Diskussion, die jetzt entstanden ist, ist – genau wie beim Karikaturenstreit schon wieder einmal eine Spiegelfechterei: man redet auf beiden Seiten einer gedachten Barrikade schon wieder über etwas, wie man es gerne hätte. [...]
Der Papst fängt an und erinnert sich an die Universität alter Prägung, die noch eine Gesamtheit des Wissens repräsentierte. Man hat anlässlich eines Dies academicus gemeinsam aus dem Blickwinkel aller Disziplinen über ein Thema gesprochen und da die Theologie dort immer mit vertreten war, war die Einheit von Vernunft und Glauben gegeben. Damals Ordinarius zu sein, hieß, die Einheit von Lehre und Person zu verkörpern und ich kann mich noch daran erinnern, wenn es irgendwo, gar nicht mal so lange vor meiner Zeit, da wurde das akademische Studium beschrieben mit Sätzen wie: „Er ging nach Freiburg, um Heidegger zu hören.“ Oder, bei Medizinern: „Er promovierte bei Derra...“, worauf jeder wusste, dass das erstens in Düsseldorf war, zweitens in der Herzchirurgie. In diese Tradition stellt sich der Papst mit dieser Einleitung.
Dann berichtet er, er habe ein Werk des im Libanon geborenen, mittlerweile emeritierten katholischen Theologieprofessors, Adel Theodore Khoury gelesen. Professor Khourys Werk steht und stand für Dialog und Integration. Eine Ausführliche Bibliographie findet sich in diesem Wikipedia-Eintrag.
Nach meinem Verständnis sagt der Papst einleitend hiermit, daß er sich bei jemandem belesen hat, dessen Lebenswerk in Deutschland für Dialog und Integration spricht. Dann teilt er uns mit, er habe ein im Rahmen dieses Dialoges einen Text gewählt,nämlich im Dialog eines byzantinischen Kaisers, Manuel II. Palaeologos mit einem persischen Gelehrten nicht das Verhältnis zwischen Altem und Neuen Testament sowie Koran, sondern einen eher eher marginalen Punkt als Aufhänger genommen: das Verhältnis von Glauben, Vernunft und Gewalt. Das Zitat des Kaisers Manuel II. Palaelogos ist ja mittlerweile weithin bekannt, aber leider auch oft das Einzige, was von diesem Vortrag bekannt ist. Leider. Hier ist es:

250px-Byzantine_eagle
"Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten ... Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider."
Es gehe ihm, dem Papst darum, mit Kaiser Manuel klarzustellen, daß:
"Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zu einer guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung."
Wie beschreibt der Papst dieses Zitat? Der Kaiser habe "zugeschlagen".
Auf dieses Zitat leitet er hin durch die Erwähnung, dass der Kaiser auch vom Djihad, gesprochen habe, der hier einzig in seiner angeblichen Bedeutung als "Heiliger Krieg" erfasst ist. Ich möchte mich jetzt nicht darin vertiefen, daß der Begriff "Heiliger Krieg" kein muslimischer Ausdruck ist, sondern nur feststellen, daß diese Passage keinen allzugroßen Raum einnimmt.
Leider gibt er den Zusammenhang des Gespräches nicht bekannt, denn dann hätte man an Hand der biographischen Daten von Kaiser Manuel zu jener Zeit eventuell garnicht mehr so erstaunt über die "Schroffheit" sein müssen. Er war nämlich von den Osmanen zum Tributdienst bei einem Feldzug verpflichtet, sozusagen "zwangsverpflichtet" worden und nur einige Wochen später ergriff er die Flucht. Möglicherweise ist der Dialog aber auch fiktiv und es war nicht nur im Mittelalter üblich, seine Gedanken in Dialogform zu Papier zu bringen, und zum Anfang auch schon einmal rhetorisch "zuzuschlagen":

Kusari
Ausgabe jüdischer Verlag Morascha 1990, die Ausgabe, auf die ich mich im Folgenden beziehe.

Einer der Großen Drei des "Goldenen Zeitalters Andalusiens, der Arzt, Philosoph und Dichter Jehuda Halevi ben Schmuel, arabisch: Abulhassan hat im zwölften Jahrhundert die obige Schrift "der Kusari" verfasst, eine Untersuchung über die philosphisch-theologischen Grundlagen des Judentums, für die er als äusseren Rahmen ein fiktives Gespräch des Königs des Turkvolkes der Khazaren mit einem Philosophen, einem Juden, einem Muslim und einem Christen wählt. Die Khazaren sind im 9. Jahrhundert fast geschlossen zum Judentum übergetreten, angeblich, nachdem ihr König sich sich durch viele Dialoge von der vernunftgemäßen Überlegenheit des jüdischen Glaubens überzeugt hat. Auch Halevi "schlägt zu", um die Aufmerksamkeit seiner Leser zu wecken. Es steht im ersten Abschnitt, im Absatz 12. Kusari:
Ich war von Anfang an mit mir einig, einen Juden nicht zu befragen, weil ich von ihrer Herabgekommenheit und geistigen Versunkenheit überzeugt war, da ja Druck und Elend ihnen keine gute Eigenschaft gelassen. (S. 45)
Würde man dieses Zitat aus dem Zusammenhang reissen, Du lieber Himmel. Es geht aber ganz schnell dazu über, daß der Dialog mit dem Juden der wichtigste wird. Sehr schnell ändert der König seine vorgefasste Meinung - Absatz 14. Kusari:
Ich finde, dass deine Rede, Jude, von Anfang an gut war, und bin jetzt geneigt, weiter mit dir zu reden. (S. 47)
Auch hier geht es um Glauben und Vernunft. So heisst es bereits in der Einleitung:
"...und seine Seele (nämlich die desjenigen, der nach der Erkenntnis Gottes strebt, BB) ruht im Leben in Gemeinschaft mit Hermes, Aesculap, Sokrates, Plato und Aristoteles; denn diese und er und jeder, der ihre Höhe erreicht, sind mit dem Tätigen Verstand eines und bestehen für immer. Und das wird "Wohlgefallen G''ttes" genannt, im figürlichen oder approximativen Sinne."
und weiter: "Dem jage nach: strebe nach wqahrhafter Erkenntnis der Dinge bis dein Verstand ein Tätiger aus dem Leidenden wird. Schliesse dich den Wegen der Frommen in Eigenschaften und Handlungen an, denn sie sind eine Beihilfe zur Erkenntnis der Wahrheit, zur Ausdauer im Forschen und zum Aufgehen in jenem Tätigen Verstand. Das führt dich sofort...zu der Verehrung, die man der Ersten Ursache weihet."
und: Fern sei es von Gott, daß die Thora etwas enthielte, was Erfahrung oder Verstandesbeschluss umstoßen könnte.

Ein Beispiel dafür, daß auch im Islam Vernunft und Glauben eine Enheit bilden ist die Sure 16, an-Nahl - die Biene. Andernorts wird vielfach ebenfalls betont, daß Streben nach Wissen und Religion eine Einheit bilden, Besonders bemerkenswert ist die Reihenfolge in jenem Hadith (=Prophetentradition):
Drei Arten von Menschen legen am Tage des Gerichtes Fürbitte ein: Erst die Propheten, dann die Gelehrten, dann die Märtyrer. (Sammlung Ihn Madscha)

Aber zurück zum Text. Der Papst sagt hier:
"An dieser Stelle tut sich ein Scheideweg zwischen im Verständnis Gottes und in der Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert." Um sich dann weiter der - aus seiner Sicht - Einheit von "griechischer" Vernunft und "dem auf die Bibel gegründeten Gottesglauben - das Gleiche, daß der "Kusari" auch thematisiert.

Aber auch das arabisch-islamische Denken hat vom griechischen Einfluss profitiert, und es ist eine Binse, daß arabische Übersetzer für uns viele griechische Texte überhaupt erst erhalten haben.
Die bekannteste rationalistische Richtung der islamischen Philosophie waren die Mutaziliten, hier die Verlinkung zum wesentlich ausführlicheren englischen Wikipedia-Artikel.

Wesentlich ist Papst Benedikt das, was er als die "Enthellenisierung des Glaubens" beschreibt, den Schutz des Glaubens vor der "Fremdbestimmung durch ein nicht aus ihm kommendes Denken", die in drei Wellen stattgefunden habe. Die dritte Welle der Enthellenisierung habe eine Überbewertung von bloßer Empirie hervorgerufen, die die Frage nach Gott, Seele und Moral ausschließe, die natürlich nicht empirisch zu messen seien. Desweiteren bedeute Enthellenisierung im Dialog der Kulturen, daß man diese anderen Kulturen auf diese "inkulturation" des Griechischen nicht festlegen dürfe. Für Judentum und Islam ist dies zumindest erstaunlich, denn, wie ich ja oben nachgewiesen habe, wurden auch sie beide durch griechisches Denken beeinflusst. Wenn er schreibt:
"Wissenschaftlichkeit ist im übrigen Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung die zu den wesentlichen Entscheiden des Christentums gehört. Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint, sondern um die Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und - gebrauchs geht es. so mahnt er er eine Haltung zur Wissenschaft an, die meines Erachtens das heutige Christentum - das ja nicht allein durch die römisch-katholische repräsentiert wird - nicht eben auszeichnet.
Wenn er dann schreibt, "...daß bei einem von dieser Sichtweise bestimmten Versuch, Theologie 'wissenschaftlich' zu erhalten vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrigbleibt", so meint das den fehlerhaften Gebrauch von Empirie - und ist genauso auch für andere Religionen gültig. Dann müssten die "Fragen der Religion und des Ethos...ins Subjektive verlegt werden...Wir sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und Vernunft..."

Zusammengefasst:
  • Papst Benedikt beklagt, daß im Westen das Göttliche aus der Universalität der Vernunft ausgeschlossen sei.
  • Dies würden die "tief religiösen Kulturen" der Welt als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen ansehen.
  • Mit der "Ausweitung unseres Vernunftbegriffs" kann dieser Widerspruch aufgehoben und
  • die christliche Welt zum wirklichen Dialog fähig werden.
Das problematische daran ist:
  • Er hat sich eines "Zeichensatzes" bedient - Universitas, Dies academicus, Universitas scientiarum, sowie einen Kontext zitiert, bei dem er nicht mehr sicher sein konnte, von jemandem ausserhalb dieses Kontextes verstanden zu werden.
  • Er hat sich für diese Vorlesung in den "Professor Ratzinger" zurückverwandeln wollen, was nicht geht.
  • Er hätte für die von ihm behandelten Fragen auch Belege dafür finden können, daß sie z.B. im Judentum und Islam ebenfalls behandelt wurden. Durch die Nichtberücksichtigung des Islam während seiner Reise - Vertreter des Judentums waren meines Wissens beim ökumenischen Gottesdienst dabei - haben sich Muslime möglicherweise ausgeschlossen gefühlt.
  • Wenn es eine theologische Vorlesung war: warum ist es denn nicht mit "Vorlesung" überschrieben, sondern mit "Ansprache"?
  • Wer saß im Auditorium und wer nicht?
  • Dies war möglicherweise etwas ungeschickt, aber mehr auch nicht und
  • schon gar kein Grund sich irgendwo zu entschuldigen.
Woher dann die Aufregung?
  1. Weil von Anfang an auch in seriösen Medien der Inhalt der Rede auf "Islamkritik" und "Islam und Gewalt" verkürzt wurde und
  2. damit aus meiner Sicht falsch wiedergegeben, und
  3. dies schon in den seriösen Medien somit
  4. braucht man sich über den Jubel der "Politisch Inkorrekten" nicht zu wundern.
  5. Dies hat der verantwortungslosen "Flächenorchestrierung" in der islamischen Welt zumindest Vorschub geleistet.
Allerdings zeigt es aus meiner Sicht auch ein betrübliches Defizit in der islamischen Welt: die fahrlässig fehlende Vermittlung europäischer Geistes- und Ideengeschichte.

Fest steht für mich: kaum jemand hat - fahrlässig oder böswillig - Papst Benedikt XVI. richtig zugehört. Das wird nicht ohne Folgen bleiben.
"Amen und Schluss", möchte ich dazu sagen.
Es war ungeschickt, aber nicht falsch gemeint.
Es war gar nicht eine Provokation wie die dänische Karikaturen, und auch nicht eine Etikettenkleberei wie President Bush' "Islamofascism" oder eine herablassende Aussprache wie Ayaan Hirsi Ali sie oft gemacht hat.
Selbstverständlich wäre es besser gewesen, wenn Papst Benedikt an christlichen Exempeln erinnert hätte, statt an muslemischen. Die Kreuzfahrten, zum Beispiel. Oder die Inquisition.
Und, nebenbei gesagt, die türkische Eroberung Kleinasiens und der Balkan war nur teilweise motiviert von Glaubenseifer. Es war ein nationaler, stammeskulturbedingter, Feldzug zur Eroberung von Lebensraum für die westlich migrierenden türkischen Stämmen.
Dies ist ein Phenomen dass wir nur allzu gut kennen aus der christlichen Geschichte: die Jesuiten in den spanischen Kolonien in Amerika, die Missionäre in Ostasien, usw.

Die ängstliche, autoritäre und zunehmend vom Westen demütigte Regime vieler muslemischen Staaten, haben, zum Beispiel an den dänischen Karikaturen, eine bequeme Strategie entdeckt, um sowohl ihre eigene Machtlosigkeit zu verdecken mittels Auftreten als Verteidiger des Glaubens, als die Frustrationen der Bevölkerung nach (für sie) ungefährlichen Protesten abzulenken. Das ist was heute wieder vor sich geht.

Der Papst hat sich entschüldigt (wie einigen Tagen vorher der holländische Minister Donner), aber das war gar nicht nötig, denn es handelte sich um Überlegungen die gezielt sind auf Dialog und Respekt für Andern.
Wir leben unter eine höllische Spirale von Inzidenten, die ausgebeutet und angetrieben wird von rücksichtslosen Antidemokraten.
Es ist Zeit für die Stimmen der Vernunft um sich hören zu lassen!

(Bigbertas Text ist leicht korrigiert, Filmische Illustrationen sind ausgelassen worden. Holl. Übersetzung folgt in In Europa Thuis und De Lage Landen und vielleicht auch in den französischen Blogs L'Europe chez Soi und Toto Le Psycho. Danke, BigBerta!)

23 Juli, 2006

Libanon's Recht auf Selbstverteidigung

"Israele hat ein Recht auf Selbstverteidigung", sagt Bush immer, wenn er sein eigenes Roadmap sabotieren lässt. Und viele Politiker sagen es ihm nach. Ich auch. Israel soll sich selbst verteidigen.
Aber ich meine auch, dass jeder der Israel das Recht auf Selbstverteidigung anerkennt, dasselbe auch tun söllte für die libanesische Regierung, die demokratische gewählt worden ist, Energiezentralen zu verteidigen hat, sowie Wege und Brücke, und unabhängige TV-Stations, die alle -ohne Unterschied- von Israel bombardiert worden sind.
Wer erwähnt mal das Recht Libanons auf Sebstverteidigung?

Hirsi Ali und Verdonk: Alles über Nichts

Wenn Sie ja Alles über das Phenomen Ayaan Hirsi Ali wissen wollen, und auch noch was sich im Haag ereignet, lesen Sie bitte dieses kapitales gesamtartikel von Florian Went, erschienen 23. Juli 2006 als "Balkenende Ohne Ende" auf dem Telepolis Blog. Gutes Deutsch. Kein Kommentar.

Balkenende ohne Ende

Floriaan H. Went 23.07.2006

Der Fall Hirsi Ali, die niederländische "eiserne Lady" und die Umstände, die zum zweiten Sturz der Regierung Balkenende mit baldiger Wiederauferstehung führten

Am 11. Mai 2006 sendete das staatlich subventionierte niederländische Fernsehprogramm Zembla einen Bericht über [extern] Ayaan Hirsi Alis Angaben bei ihrer Asylanfrage anno 1992. Die Sendung wurde Anlass zum zweiten Sturz einer Regierung unter dem niederländischen Premierminister Balkenende innerhalb von vier Jahren, führte am 7. Juli 2006 zur Bildung des dritten Kabinetts Balkenende und zu verfrühten Neuwahlen am 22. November 2006.

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Jan Peter Balkenende

Die unter dem Namen Ayaan Hirsi Magan geborene Somalierin hatte sich 1992, auf der Reise zu ihrem angeblich zwangsverheirateten Mann in Kanada, über Deutschland in die Niederlanden abgesetzt. Ihre Reise begann in Kenia, wo sie, ihre Eltern und Geschwister seit zwölf Jahren als politische Flüchtlinge wohnten. Hirsi Alis Vater, Hirsi Magan Isse, war engagierter politischer Gegner des somalischen Diktatoren Mohammed Siyad Barre und als solcher nach Hirsi Alis Geburt in somalischer Haft. Er flüchtete 1976 nach Saudi-Arabien und später Äthiopien, um sich schließlich mit seiner Familie in Kenia niederzulassen. Seine Tochter Hirsi Ali arbeitete die beiden Jahre vor ihrer Flucht in die Niederlande als Übersetzerin für UNDP (United Nations Development Program).

Hirsi Ali erhielt 1992 niederländisches Asyl. Sie studierte Politologie und wurde 1997 Niederländerin. Im selben Jahr schloss sie sich der alteingesessenen sozialdemokratischen [extern] Partij van de Arbeid (PvdA) an, wechselte 5 Jahre später aber zu dessen politischem Antagonisten, der liberal-konservativen [extern] Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), für die sie seit Beginn 2003 Parlamentsmitglied war.

In diesem Jahr schrieb Hirsi Ali das Drehbuch für den Kurzfilm [extern] Submission, für welchen [extern] Theo van Gogh die Regie führte ([local] Da staunt der Islamist). Letztgenannter wurde am 2. November 2004 in Amsterdam auf offener Straße von einem holländischen Islamisten erstochen ([local] Dschihad in Amsterdam?, [local] Dschihad oder Selbstjustiz?), laut Gerichtsurteil übrigens dem ersten niederländischen Terrorakt. Weil van Goghs Mörder Mohammed Bouyeri auch Hirsi Ali mit dem Tod bedroht hatte, tauchte sie in den Vereinigten Staaten unter. Seit ihrer Rückkehr wurde Hirsi Ali in den Niederlanden permanent bewacht und wohnte sie in speziell geschützten Unterkünften.

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Hirsi Ali protestierte im Februar 2005 in einem Interview mit der Zeitung NRC Handelsblad dagegen, dass sie aus Sicherheitsgründen im Geheimen in einer fensterlosen Zelle einer schwer bewachten Marinebasis unterkommen musste. Sie forderte ein normales, aber bewachtes Unterkommen, welches sie kurz darauf auch erhielt in einer durch den Staat erworbenen Wohnung in Den Haag. 12 andere Bewohner des Gebäudes fühlten sich bedroht durch potentielle Anschläge auf Hirsi Ali, klagten den Staat an wegen der Gefährdung ihrer Leben und der Wertverminderung ihrer Wohnungen und forderten Hirsi Alis Auszug. Sie erhielten recht, eine sehr enttäuschte Hirsi Ali musste wegziehen.

Hirsi Ali, die sich international als vehemente Kritikerin des Islam profiliert hatte, wurde in Holland aber auch wegen ihres polarisierenden Stils schwer kritisiert. So hatte sie den Propheten Mohammed als "perversen Mann" bezeichnet und verteidigte entsprechend im Januar 2006 in einer Pressekonferenz in Berlin anlässlich des Karikaturenstreites ein "Recht auf Beleidigung". Vor der Zembla-Reportage und dem gerichtlich erzwungenen Umzug hatte sie geplant, am 1. Mai 2007 nach Washington zu ziehen, um dort für den neokonservativen Thinktank [extern] American Enterprise Institute zu arbeiten.

Die Journalisten des Fernsehberichtes mit dem Titel "Die heilige Ayaan" untersuchten die Richtigkeit von Hirsi Alis Asylangaben. Im Bericht wurde breit dargelegt, dass Hirsi Ali bei ihrem Asylantrag neben einem falschen Nachnamen und Alter auch weitere falsche Angaben gemacht hatte. So flüchtete sie nicht aus dem Kriegsgebiet Somalia, sondern aus Kenia. Auch Hirsi Alis Aussage, dass sie wegen ihrer Flucht vor der Zwangsheirat durch ihre Familie bedroht werde, stellte der Fernsehbericht mittels Zeugenberichten, die jedoch nach dem Bericht teilweise widerrufen wurden, in Zweifel.

Ayaan Hirsi Ali

Bis dahin war bekannt, dass Hirsi Ali über ihren Nachnamen und Geburtsdatum gelogen hatte - dies hatte sie selbst in ihrem vielgelesenen Buch "Die Söhnefabrik" beschrieben und in zahllosen Fernseh- und Zeitungsberichten immer wieder verkündet. Laut Hirsi Ali hatte sie dies bei ihrem Beitritt auch der VVD mitgeteilt. Zeuge eines Interviews mit ihrer Freundin und Parteigenossin, der EU-Kommissarin Nelie Kroes, worin diese behauptet, Hirsi Ali hätte 5 Bürgerkriege mitgemacht, war jedoch die Unwahrheit ihrer Asylangaben bezüglich der Ursache und Hintergründe ihrer Flucht nicht hinlänglich bekannt.

Die Strategien der "eisernen Lady"

Direkt vor Zemblas Reportage setzte der verbissene Kampf ein zwischen Rita Verdonk, der niederländischen Ministerin für Einwanderung und Ausländerfragen, und Mark Rutte, damals Staatssekretär für Erziehungswesen, um den Parteivorsitz der VVD.

Seit ihrem Antritt als Ministerin hatte Verdonk sich als Hardliner in ihrem Departement profiliert und sich den Beinamen "eiserne Rita" erarbeitet. Dass mehr als 26.000 integrierte ehemalige Asylsuchende die Niederlande verlassen müssen und seit 2004 nicht mehr in den Gemeinden aufgefangen werden oder Notgelder empfangen sollen, stützt auf einer Massnahme ihrerseits, welche in vielen Gemeinden auf grossen Protest stiess. Ihr harter Regierungskurs in Ausländerfragen machte Verdonk zur beliebtesten Ministerin der Niederlande. Es ist nicht auszuschließen, dass sie dies im Lauf der Zeit dazu bewegte, ihre Politik immer mehr an den Abgrund der Inhumanität zu schieben.

In diesem Licht würde sich jedenfalls erklären, dass Verdonk Ende 2005 für ein allgemeines Burkha-Verbot plädierte ([local] Holländische Regierung überlegt Burka-Verbot) oder einen Verhaltenscode einführen wollte, der besagt, dass in der - offenbar nicht besonders touristenfreundlichen - niederländischen Öffentlichkeit ausschließlich die Landessprache gesprochen wird.

Wiederholt kam die Ministerin in große politische Probleme. Im Dezember 2005 erzählte Verdonk dem Parlament anlässlich eines anprangernden Fernsehberichtes sehr entschlossen, dass ihr Immigrations- und Einbürgerungsdienst (IND) niemals kongolesischen Behörden Dossiers über abgewiesene Asylsucher aus diesem Land zugespielt habe. Später stellte sich jedoch im Bericht der Untersuchungskommission Havermans heraus, dass diese, durch internationale Verträge verbotene Übermittlung von Angaben aus Flüchtlingsdossiers, doch stattgefunden hatte.

Das falsche Informieren des Parlamentes durch Minister gilt in den Niederlanden als politische Todsünde und resultiert im Normalfall in Misstrauensvoten und häufig auch dem Rücktritt des gerügten Kabinettsmitgliedes. Trotzdem überlebte Verdonk die damaligen Misstrauensvoten der linken Parteien und konnte auch eine Wiederholung ähnlichen Fehlverhaltens des IND im April 2006 im Zusammenhang mit 181 syrischen Asylsuchenden nur zu Misstrauensvoten einer parlamentarischen Minderheit führen, nicht aber zu ihrem Rücktritt.

In die sehr lange Reihe politischer Probleme Verdonks gehört auch die Entrüstung einiger Parlamentsmitglieder darüber, dass im Jahr 2004 in einem Asylzentrum für Kinder im holländischen Oisterwijk mehr als hundert Kinder spurlos verschwanden, derweil Verdonks Beamte erst ein Jahr, nachdem sie dies erfahren hatten, die Polizei über das Verschwinden der Kinder informierte. Prompt entlarvte die Polizei verspätet ein Netz von Kinderschmugglern.

Nicht nur niederländische Politiker, worunter auch VVD-Koryphäen wie Jozias van Aartsen, Hans Dijkstal oder Ed Nijpels, kritisierten Rita Verdonk mitunter für ihre "eiserne" Asylpolitik indes scharf. Auch niederländische Kontrollbehörden wie der Ombudsmann oder die "Algemene Rekenkamer", bemängelten ihre Verwaltung. Und auch im internationalen Kontext erfolgten Beanstandungen der unzulänglichen Humanität Verdonks Flüchtlingspolitik, etwa durch den Rat von Europa, Amnesty International, Defence for Children, Unicef oder den niederländischen Kirchenrat.

Einige Monate vor der Reportage des staatlichen Fernsehsenders über Hirsi Alis Lügen, hatte Verdonk die ursprünglich aus dem Kosovo stammende 19-jährige Taida Pasic, kurz vor ihrem Abitur in Abschiebehaft nehmen lassen, da ihr Asylantrag wiederholt abgelehnt wurde. Anschließend wurde sie abgeschoben, obwohl die Haft sich später als unrechtmäßig herausstellte und zu Schadenersatzzahlungen an die 19-Jährige führte.

Weil Pasic die Medien nicht scheute, schreckte die Ministerin daraufhin nicht davor zurück, ihnen Auszüge aus Pasics Asyldossier zuzuspielen und sie dort als Lügnerin und Betrügerin zu beschimpfen. Die niederländische Behörde, welche den Datenschutz kontrolliert (CBP), untersuchte aus eigener Initiative dieses Vorgehen der Ministerin (es war das erste Mal, dass ein Minister geschützte personenbezogene Daten aus politischen Motiven veröffentlichte) und stellte fest, dass ihr Handeln unrechtmäßig gewesen sei. Auch dies wird nun wohl zu Schadenersatzzahlungen an Pasic führen.

Der Fall Taida Pasic wurde in der Presse breit ausgemessen. Er führte mitunter dazu, dass Hirsi Ali ihre Parteigenossin Verdonk anrief und sie informell bat, im Falle der Schülerin aus Kosovo Barmherzigkeit walten zu lassen und sie nicht abzuschieben. Laut dem Schriftsteller Leon de Winter, der während des Telefonats neben Hirsi Ali stand und das Gespräch mit der Ministerin später auch weiter führte, kam die Sprache damals auf Pasics Lügen. Hirsi Ali habe Verdonk gesagt, sie sei selbst ja auch trotz Lügen eingebürgert worden, weshalb auch Pasic nicht wegen eventuellem Schwindel ausgewiesen werden soll. Hierauf soll Verdonk laut de Winter geantwortet haben, dass sie, wäre sie damals schon Ministerin gewesen, Hirsi Ali ebenfalls ausgewiesen hätte.

"Regeln sind Regeln"

Am Tag nach dem Zembla-Bericht über Hirsi Alis erfundene Asylangaben und direkt nach einer Ministerratssitzung wies die Ministerin daraufhin, dass die Sache schon 14 Jahre her war und ihr gemäß keine Folgen habe. Drei Tage später befragte der seit 2005 unabhängige Parlamentarier Hildebrand Nawijn - pikanterweise der ehemalige Direktor des damals für Hirsi Alis Einbürgerung verantwortlichen IND und fünf Jahre später im drei Monate lang regierenden Kabinett Balkenende I auch Minister der LPF des gegenwärtigen Ministeriums von Verdonk - die Ministerin über die Reportage und Hirsi Alis Staatsbürgerschaft. Schon am nächsten Tag konnte die Ministerin das Parlament und Nawijn darüber benachrichtigen, dass Hirsi Ali, dem Ministerium gemäß, nie Niederländerin geworden sei.

Hirsi Ali erklärte in einer emotionalen Pressekonferenz, dass sie aufgrund des Berichts von Zembla und des gerichtlich erzwungenen Umzugs ihr parlamentarisches Amt niederlege und im August 2006 "traurig und erleichtert" die Niederlande verfrüht verlassen werde. Sie erklärte ferner, dass die Entziehung der Staatsbürgerschaft wegen falscher Angaben für sie in allen Fällen eine unverhältnismäßige Reaktion sei.

Verdonk berief sich bei ihrem Befund von Hirsi Alis nichtiger Staatsbürgerschaft auf ein Gerichtsurteil vom 11. November 2005 des niederländischen Berufungsgerichts (Hoge Raad). Es bezog sich auf den Fall der irakischen Familie Naïf, die zu Beginn der neunziger Jahre nach Holland geflüchtet war und beim Asylantrag einen - damals gegenüber der Behörde auch als fingiert postulierten - fiktiven Namen angab, um ihre im Irak zurückgebliebenen Familienangehörigen zu schützen. Die Familie erhielt Flüchtlingsstatus und wurde 1997 auch unter dem falschen Namen eingebürgert. 2004 war die Gefahr für die zurückgebliebenen Familienangehörigen gewichen, weshalb die Familie auf Anraten ihres Anwaltes die Einbürgerungsbehörde um Korrektur des falschen Namens in ihren Akten bat.

Verdonks IND verweigerte jedoch die Korrektur und nahm den Standpunkt ein, dass die Familie Naïf gar nie eingebürgert worden sei, worauf diese ein Gericht ersuchte, um ihre niederländische Staatsbürgerschaft fest zu stellen. Das Urteil des Berufungsgerichts bestätigte die vorhergehenden Urteile in dieser Sache und führte aus, dass - besondere Umstände dahingestellt - mit falschem Namen erschlichene Einbürgerungsakten unwirksam seien. Betroffene Personen könnten nie Niederländer werden, es sei denn, der falsche Name auf ihrer Urkunde hätte sie bei der Einbürgerung doch identifizieren können. Zu denken war laut Urteil an Orthographie- und Übersetzungsfehler, also Naiv statt Naïf.

Da allgemein bekannt war, dass Hirsi Alis Einbürgerungsakte einen falschen Namen nannte, sei auch sie nie Niederländerin geworden, kombinierte die Ministerin. "Regeln sind Regeln", verkündete sie: "Wer lügt, kann nicht Niederländer werden." Ihre eigenen wiederholten Lügen gegenüber dem Parlament konnten ihre eigene Staatsbürgerschaft glücklicherweise nicht in Frage stellen - sie war schließlich schon immer Niederländerin gewesen.

Ein Sturm heftiger Entrüstung entbrannte, nicht nur in der in- und ausländischen Presse, sondern auch im Parlament und selbst in der eigenen Partei VVD. Konnte es tatsächlich so sein, dass Hirsi Ali, die sich als Parlamentarierin auf Lebensgefahr hin in der öffentlichen Debatte exponiert hatte, nie die holländische Nationalität erhalten hätte? Welche Folgen hätte dies im staatsrechtlichen Sinn? Waren nicht alle seit 2003 vom Parlament angenommenen Gesetzesvorlagen plötzlich verfassungswidrig, da eines der 150 Parlamentsmitglieder keine niederländische Bürgerin war, die Verfassung dies aber vorschreibt?

Es folgte eine nervenaufreibende und sehr lange nächtliche Debatte im Parlament. Bis zum Äußersten hielt Verdonk dabei sowohl an ihrer Überzeugung fest, dass sie keine andere Wahl gehabt habe, als Hirsi Ali über ihre nie erfolgte Einbürgerung aufzuklären, wie auch daran, dass dies keineswegs aufgrund mangelnder Sorgfalt geschehen sei.

Eine überwältigende parlamentarische Mehrheit entschied, dass Verdonks Handlungsweise übereilt war; sie hätte durchaus andere Möglichkeiten gehabt. Nun hatte die Ministerin tatsächlich keine andere Wahl mehr - jedenfalls, wenn sie im Amt bleiben wollte -, als die dringenden Empfehlungen des Parlamentes anzunehmen, ihre Haltung zu überdenken und einzugestehen, dass sie sehr wohl anders hätte handeln können. Das Parlament gewährte ihr sechs Wochen, um Hirsi Ali entweder zur Niederländerin zu machen oder sie dies bleiben zu lassen.

Gleichwohl verkündete Verdonk am nächsten Tag während ihrer Kampagne für den VVD-Vorsitz stoisch, sie hätte nicht anders handeln können - Regeln sind Regeln und wer lügt, kann kein Niederländer werden.

Inzwischen regte sich unter Juristen Widerstand gegen das bis dahin offensichtlich nur am Rande wahrgenommene Urteil des Berufungsgerichts in der Sache der irakischen Familie Naïf, auf welches sich die Ministerin ständig berief. Waren Unwirksamkeit oder Nichtigkeit einer mit falschen Personenangaben erschlichenen Einbürgerung auch dann verhältnismäßig, wenn die Betroffenen selbst um die Korrektur eines wegen drohender Gefahr fingierten Namens ersuchten? War die Feststellung der rechtlichen Unwirksamkeit, welche die Identitäten ganzer Familien in einem Schlag auslöscht, auch dann angemessen, wenn in Betracht gezogen wird, dass bei einer solchen Feststellung kein verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz gewährleistet wird? Und vor allem: Ließ die im Jahr 2003 erfolgte Einführung der gesetzlichen Möglichkeit des Entzuges einer durch Betrug erschlichenen Staatsangehörigkeit noch zu, dass man sie in Fällen von falschen Namensangaben nicht etwa entzieht, sondern ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage rückwirkend als nie erfolgt betrachtet?

Unter Juristen herrschte die Haltung, dass der Beschluss des Berufungsgerichts vom 11. November 2005 in der Sache der Familie Naïf ein Fehler sein musste, weil es die Rechtssicherheit und das neue Einbürgerungsgesetz nicht berücksichtigte. Falsche Namen sollten als Betrug gelten, den das neue Gesetz festlegt, und deshalb gegebenenfalls zum dort geregelten Entzug der Staatsbürgerschaft führen, aber diese nicht rückwirkend unwirksam machen. Im Fall von Hirsi Ali hätte dies bedeutet, dass sie 1997 sehr wohl Niederländerin geworden wäre, die Verwaltung die Staatsangehörigkeit aber wegen des Betrugs unter Umständen hätte entziehen können.

Neue Regierung mit alter Ministerin

Ein gebürtiger Jugoslawe befand sich in ähnlicher Situation wie die Familie Naïf. Er hatte seine Einbürgerung 1999 ebenfalls mit einem falschen Namen erschlichen und bei seinem späteren Antrag um Korrektur des fingierten Namens gebeten, aber von Verdonks IND vernommen, dass er gar nie die holländische Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Seinen Fall legte er ein halbes Jahr nach der Familie Naïf, nämlich Ende April 2005, ebenfalls den Gerichten vor. Zum ersten Mal entschieden Richter hier anders als bisher in Fällen von mit falschen Namen erschlichenen Einbürgerungen. Entsprechend der Haltung vieler Juristen, aber im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung, argumentierte das erstinstanzliche Gericht, dass seit der gesetzlichen Einführung der Möglichkeit des Entzugs eine rückwirkende Nichtigkeitserklärung keine angemessene Maßnahme mehr sein könne, sondern dass gegebenenfalls eben eine Entziehung der Staatsangehörigkeit erfolgen müsse.

Der IND unter Verdonk ging im Februar 2005 in Berufung, was im nachhinein erstaunt angesichts Verdonks Argument im Fall von Hirsi Ali, sie habe keine andere Wahl gehabt. Das Urteil des Berufungsgerichts im Fall des Jugoslawen sollte während oder kurz nach dem Eklat über Hirsi Ali - diesmal unter großer Aufmerksamkeit wegen der Konsequenzen für diese - bekannt gegeben werden.

Nach den sechs Wochen, die Verdonk gegönnt waren, um Hirsi Ali entweder zur Niederländerin zu machen oder ihr dies zu verwehren, erfolgte die große Überraschung: Hirsi Ali hatte laut ihrer Anwälte und inzwischen auch dem Ministerium gemäß gar nie einen falschen Namen angegeben. Nach dem somalischen Namenrecht, das hier entscheidend war, durfte sie den Namen ihres Großvaters Ali führen. Hirsi Alis eigene Überzeugung, sie hätte sich nach ihrem Vater nennen müssen, also "Hirsi Magan", war falsch.

Es schien eine elegante Lösung - wenngleich es durchaus etwas merkwürdig war, dass die Ministerin sie bisher übersehen hatte -, ermöglicht auch durch das diesbezüglich undeutliche somalische Recht und die lückenhafte somalische Verwaltung. Das falsche Geburtsdatum oder die erlogene Flüchtlingsgeschichte hatten inzwischen offenbar völlig an Belang verloren.

In der noch längeren nächtlichen parlamentarischen Debatte am 29. Juni 2006 schien denn zuerst auch alles wieder in bester Ordnung. Erst um halb drei begann es schief zu laufen. Der inzwischen müde Premierminister wurde gerade zu den letzten Sätzen der Erklärung befragt, welche Hirsi Ali der Ministerin gegeben hatte. Darin hielt Hirsi Ali fest, dass sie selbst alle Schuld trage an den Verwicklungen bezüglich ihres Namens, der Ministerin nichts vorzuwerfen sei und dass sie sich für ihre Falschaussage bezüglich der vermeintlichen Lüge entschuldige.

Sowohl Verdonk wie auch Balkenende hatten bis dahin erklärt, dieses Schuldeingeständnis sei aus juristischer Perspektive notwendig gewesen. In einem Moment fehlender Aufmerksamkeit erklärte der Premierminister allerdings nun, dass das Eingeständnis nötig gewesen sei, weil Verdonk darauf bestanden hatte. Nicht juristische, sondern persönliche Motive hatten offenbar dazu geführt. Der Eindruck drängte sich auf, die Ministerin habe Hirsi Ali mit dem Machtmittel der Staatsbürgerschaft dazu erpresst, alle Schuld auf sich zu nehmen.

Für die kleinste Regierungspartei, D66, brachte dies das Fass dann doch zum überlaufen. Sie forderte den Rücktritt der Ministerin. Die parlamentarische Mehrheit stützte einmal mehr das Misstrauensvotum gegen Verdonk nicht und so blieb D66 nichts anderes übrig, als selbst aus der Regierung auszutreten und Balkenende II damit aufzulösen.

Balkenende III konnte schließlich, vom gesamten Parlament, auch von der D66, unterstützt und ohne weitere Komplikationen (wie Neuwahlen), eine Minderheitenregierung mit zwei neuen Ministern von den beiden übrig gebliebenen Koalitionsparteien CDA und VVD bilden. Die umstrittene Ministerin Verdonk leitet auch in dieser Regierung das Ministerium für Einwanderung und Ausländerfragen und zwar - jedenfalls bei ausbleibenden neuen Fehltritten - wohl bis zu den für den 22. November 2006 angekündigten Neuwahlen.

Am 30. Juni erfolgte das ursprünglich mit Spannung erwartete Urteil des Berufungsgerichts im Fall des oben erwähnten Jugoslawen, der sich unter falschem Namen hatte einbürgern lassen. Für Hirsi Ali konnte das Urteil inzwischen keine Konsequenzen mehr haben, sie hatte ja offenbar gar keinen falschen Namen gebraucht. Und ebensowenig für die anderen - laut Ministerium 74 Fälle, den Gemeinden zufolge ist die Anzahl viel höher -, bei denen der IND seit 2000 festgestellt hatte, dass sie wegen fingierten Namen auf der Einbürgerungsurkunde nie Niederländer geworden seien (wonach sie trotz weitgehender Integration abgeschoben wurden). Nur für kommende Fälle konnte es relevant sein.

Das Berufungsgericht entschied, dass das bereits erwähnte neue Gesetz, das die Möglichkeit beinhaltet, die Staatsbürgerschaft bei Betrug zu entziehen, auch in Fällen von fingierten Namen gilt. Betroffene Personen sind dementsprechend trotz des falschen Namens auf der Urkunde sehr wohl Niederländer geworden und die Staatsbürgerschaft kann nun unter spezifischen Umständen entzogen werden, übrigens auch wenn dadurch Staatenlosigkeit entsteht. Allerdings betrifft dies ausschließlich die Fälle, in denen die mit falschen Namen erschlichenen Einbürgerungen nach dem 1. April 2003 erfolgten.

Personen, die wie der Jugoslawe vor dem 1. April 2003 bei ihrer Einbürgerung einen falschen Namen angegeben hatten, wurden hingegen nie Niederländer. Es ist evident, dass dies eine schwerwiegende Rechtsungleichheit zur Folge hat für die Fälle vor dem 1. April 2003 und für die danach. Der weiterhin amtierenden Ministerin für Einwanderung und Ausländerfragen wird dies keine schlaflosen Nächte bereiten. Sie hält das Gesetz vom 1. April 2003 wohl immer noch für einen Scherz.

Amen und Danke!
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